Es ist noch gar nicht so lange her, dass Gehirnerschütterungen in der NFL kein großes Thema waren. Spieler, die hart getroffen wurden, wurden regelmäßig wieder ins Spiel geschickt, das Gesundheitsrisiko dabei nicht beachtet.
Concussion Protocol in der NFL: Der Fall Tua Tagovailoa sorgt für Umdenken und Regeländerung
In den letzten Jahren hat die NFL das Thema Kopfverletzungen jedoch endlich viel ernster genommen. Auch und gerade wegen des Falles von Tua Tagovailoa: Der Quarterback der Miami Dolphins erlitt im Jahr 2022 in der Regular Season im Spiel gegen die Buffalo Bills einen schweren Hit, spielte aber angeschlagen und benommen weiter.
Auch im nächsten Spiel wurde Tagovailoa fahrlässigerweise eingesetzt, ging diesmal gegen die Cincinnati Bengals zu Boden und lag mit verkraften Fingern auf dem Rücken. Die Szenen sorgten für Aufsehen, diesmal wurde bei Tagovailoa eine Gehirnerschütterung diagnostiziert - und in der NFL fand erst eine Debatte bzgl. des Umgangs mit Kopfverletzungen und ein Umdenken samt Regeländerung statt.
Seitdem dürfen Spieler mit Symptomen einer Gehirnerschütterung nicht wieder ins Spiel zurückkehren. Die NFL führte das Concussion Protocol ein. Zwar existiert das Concussion Protocol in der NFL schon seit 2013, jedoch wurde es immer lax ausgelegt und umgesetzt. Seit dem Fall Tagovailoa ist das nun anders und wird streng geregelt.
So funktioniert das Concussion Protocol in der NFL
Das Gehirnerschütterungsprotokoll der NFL ist ein komplexer Prozess und besteht aus einer Reihe von Schritten, die Spieler unternehmen müssen, um nach einer Gehirnerschütterung wieder spielen zu können.
Bei jedem NFL-Spiel sitzen zwei unabhängige NFL-Beobachter ("AT Spotter") auf der Tribüne und achten darauf, ob sich Spieler in einem Spielzug eine mögliche Verletzung zugezogen haben könnten. Werden sie darauf aufmerksam, treten sie per Funk mit den Team-Verantwortlichen und dem medizinischen Stab an der Seitenlinie in Kontakt. Wenn ein Spieler Symptome einer Gehirnerschütterung zeigt, muss er sich in ein am Spielfeldrand stehendes blaues medizinisches Zelt ("medical tent") begeben, in dem er auf Gehirnerschütterungssymptome untersucht wird.
Dabei wird auf sogenannte "No-Go"-Symptome geachtet: Bewusstseinsverlust, Orientierungslosigkeit, grobmotorische Instabilität, Verwirrtheit, Amnesie, Abwehrreaktion, Aufprallkrampf. Wenn ein No-Go-Symptom festgestellt wird, darf der Spieler nicht auf das Spielfeld zurückkehren und das Concussion Protocol wird eingeleitet.
Besteht bei der Begutachtung im Medical Tent der Verdacht, dass ein Spieler eine Gehirnerschütterung hat, muss er sich in die Kabine begeben, um sich dort einer ausgiebigen Untersuchung durch einen Mannschaftsarzt und einen unabhängigen Neurotrauma-Betreuer ("Unaffiliated Neurotrauma Consultant", kurz UNC) unterziehen zu lassen. Das Protokoll umfasst in der Folge eine neurologische Nachuntersuchung und Beurteilung durch das medizinische Team.
Symptome einer Gehirnerschütterung: Das fünfstufige Concussion Protocol der NFL
Um das Concussion Protocol zu verlassen, muss ein Spieler einen fünfstufigen Prozess durchlaufen haben.
Symptombezogene eingeschränkte Aktivität: In dieser Phase werden die Spieler gebeten, sich nicht zu viel zu bewegen. Sie sollen sich in dieser Zeit ausruhen und alles vermeiden, was ihre Symptome verschlimmern könnte.
Aerobic-Übungen: Die Spieler beginnen mit Dehnungs- und Trainingsübungen sowie Herz-Kreislauf-Übungen, die vom medizinischen Personal der Mannschaft überwacht werden. Nach dieser Phase können die Spieler mit Gleichgewichtstests beginnen.
Football-spezifische Übungen: In der dritten Phase können die Spieler an Football-spezifischen Übungen teilnehmen und bis zu 30 Minuten lang unter Aufsicht mit dem Team arbeiten. Die Spieler können auch ihr Herz-Kreislauf-Trainingspensum erhöhen.
Spezifische Übungen ohne Kontakt: Spieler, die die vierte Stufe erreichen, können mit dem Werfen, Fangen und Laufen beginnen und sich an Aktivitäten beteiligen, die mehr auf ihre Position zugeschnitten sind. Außerdem können sie ihre Übungen und ihr Training weiter steigern. Am Ende dieser Phase müssen sich die Spieler neurokognitiven Tests und Gleichgewichtstests unterziehen.
Volle Football-Aktivität/Freigabe: Der Spieler muss sowohl vom Vereinsarzt als auch vom unabhängigen neurologischen Betreuer die Freigabe erhalten, damit er wieder ins laufende Spiel zurückkehren kann.
Strafen bei Missachtung des Concussion Protocol
Missachtet der Verein die Abläufe des Concussion Protocol - beispielsweise wenn ein Spieler zu früh ins Spiel zurückkehrt oder nicht alle Tests durchgeführt worden sind - drohen Strafen. Das kann eine Geldstrafe sein, bis hin zum Abzug von Draft Picks.