Sieben Monate nach der zweiten Niederlage gegen Oleksandr Usyk kämpft Anthony Joshua nicht nur um seine sportliche Rehabilitation. Auch sein Auftreten wird nach seinem konfusen Auftritt in Dschidda (Saudi-Arabien) mit Argusaugen beobachtet werden. Es braucht einen überzeugenden, selbstbewussten und unzweifelhaften Sieg, damit AJ in der Weltspitze des Boxens wieder wahrgenommen wird.
Sein Gegner Jermaine Franklin geht als Außenseiter ins Rennen, könnte aber davon profitieren, dass AJ nach schwachen vergangenen Jahren psychisch angeknackst ist. Es könnte die ganz große Stunde schlagen für den US-Amerikaner. Bei einem Überraschungssieg winkt sogar ein möglicher Titelfight gegen Usyk oder Tyson Fury.
Was muss Joshua umsetzen, um wieder ernst genommen zu werden? Und wie sollte Franklin agieren, um AJ den Gnadenstoß zu erteilen? Hier kommen die Schlüssel zum Sieg für beide Athleten.
Mark Robinson/MatchroomQuelle: Getty Images
Anthony Joshua
Vergiss Usyk
Die letzten zwei Jahre waren das dunkelste Kapitel in der Karriere von Anthony Joshua. Mit den zwei Niederlagen gegen Usyk ist AJ nicht nur vom Box-Thron gefallen, auch in der Außendarstellung hat er seinen exzellenten Ruf als differenzierten und aufgeräumten Profiboxer eingebüßt. Das alles muss der Vergangenheit angehören. AJ muss das vergessen und sich auf einen Neustart konzentrieren.
Bevor Usyk auf der Bildfläche erschien, war Joshua ohne Zweifel der beste Schwergewichtler der Welt. Keiner konnte ihm das Wasser reichen. Er war auf dem höchsten Level, das ein Boxer erreichen kann. Er muss sich darauf besinnen, wo er mal war und was er kann, und optimistisch und mit Mut und Vertrauen in die Zukunft blicken, um dort wieder hinzukommen.
Mit Franklin steht ihm ein Gegner gegenüber, der nicht im Ansatz die Stärke und Gerissenheit von Usyk mitbringt. Der Engländer muss zeigen, dass er mental stark ist und mit solchen Gegnern nach wie vor souverän umgehen - und sie schlagen kann.
Starte mit Druck
Gegen Dillian Whyte hat Franklin gezeigt, dass er gegen einen guten Gegner problemlos über zwölf Runden gehen kann. Auf den Zeitfaktor oder körperliche Erschöpfung sollte AJ also nicht setzen. Vielmehr sollte er versuchen, von Beginn an Druck zu machen und früh viele Runden gewinnen, um Franklin gar nicht erst in den Glauben kommen zu lassen, er hätte eine Chance gegen den Ex-Champion.
Körperlich und boxerisch ist AJ in jeder Hinsicht überlegen. Sobald Franklin aber eine Underdog-Mentalität entwickelt und an seine Chance glaubt, könnte er über sich hinauswachsen. Ein fahriger oder übervorsichtiger Beginn Joshuas könnte das begünstigen.
Hör auf Derrick James
Gleichzeitig darf Joshua es aber auch nicht überstürzen. Das Publikum in der o2 Arena in London wird nach AJs Usyk-Fiasko eine Show erwarten, eine Machtdemonstration zur Wiederauferstehung, einen Knockout. Wer aber mit dem Kopf durch die Wand will, der zerschellt im Schwergewicht schnell mal an ihr.
Mit Derrick James hat Joshua einen der besten Trainer in seiner Ringecke, den die Boxwelt derzeit bietet. Und der Texaner wird genau wissen, was zu tun ist. Für Joshua geht es darum, der Welt zu zeigen, dass er immer noch ein Weltklasse-Boxer ist. Gleichzeitig aber auch, dass er immer noch schlau genug ist, um Input aufzunehmen, Pläne umzusetzen und mit Sinn und Verstand zu agieren. Dafür muss er Coach James beim Wort nehmen.
Jermaine Franklin
Bleib sachlich
Joshua ist in England ein Nationalheld. Und wird entsprechend von seinem Publikum unterstützt, angefeuert und nach vorne gepeitscht. Da fällt es jedem Gegner schwer, dagegenzuhalten. Sollte Franklin sich davon aber anstacheln lassen und die Ruhe verlieren, wird das sein schneller Untergang sein.
Der Außenseiter muss in fremdem Terrain die Ruhe behalten, sich an seinen Plan erinnern und Faktoren von außen ausblenden. Er wird kaum Unterstützung in der voll besetzten o2 Arena erwarten können. Entsprechend heißt es Scheuklappen aufsetzen und fokussiert bleiben. Dieser Fight ist Franklins größte Chance seiner Karriere. Es wäre tragisch, würde er sie durch unangemessene Emotionalität oder Impulsivität wegschmeißen.
Halt die Deckung oben
Joshua wird gerade zu Beginn keine Zweifel aufkommen lassen, wer der Boss im Ring ist. Schafft es Franklin, diese Phase mit einer guten Deckung und cleveren, punktierten Gegenschlägen zu überstehen, könnte seine Chance in der zweiten Kampfhälfte auf ihn warten. Bis dahin muss er den Fight mindestens ausgeglichen halten. Je länger es dauert und je enger das Duell ist, umso nervöser dürfte AJ werden.
Er ist schließlich in der Bringschuld. Franklin hat nichts zu verlieren. Und sobald Joshaus Kopf anfängt, nachzudenken, kann die Stunde von Franklin schlagen.
Mach keine Pausen
Franklins Auftritt gegen Whyte war gut, aber nicht gut genug. Am Ende eines knappen Duells fehlten ein paar Schläge, um die Ringrichter zu überzeugen. Das darf Franklin nicht wieder passieren. Natürlich muss er mit seinen Kräften haushalten. Er darf sich aber keine Pausen gönnen, die zu lang geraten. Kommt Joshua dadurch einmal in einen Flow und gewinnt drei, vier, fünf Runden in Folge, wird es schwer bis unmöglich für den US-Amerikaner, das nochmal aufzuholen.
Für seinen Kampf gegen Joshua hat Franklin sichtlich abgespeckt. Es wird ihm helfen, das Tempo hochzuhalten und immer wieder die Nadelstiche zu setzen, die es braucht, um sich durchzusetzen. Ohne sich über einen längeren Zeitraum rausnehmen zu müssen.
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