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Frenkie goes to Willem II: Wie de Jongs Talent beinahe auf der Strecke geblieben wäre

Sebastian Stier
Frenkie goes to Willem II: Wie de Jongs Talent beinahe auf der Strecke geblieben wäreDAZN
Seine Pässe waren präziser als Schnitte von Chirurgen, seine Übersicht war unerreicht, aber bei Willem II ignorierte ihn der Trainer. Frenkie de Jong setzte sich trotzdem durch, weil er nicht nur gut Fußball spielen konnte.

Nein, Tim Cornelisse rechnete in seiner letzten Saison nicht mehr damit, beeindruckt zu werden. Wie auch? Er war 37 Jahre alt, hatte knapp zwei Jahrzehnte Profifußball hinter sich und obwohl er sich meist in mittelgroßen Klubs der niederländischen Eredivisie verdingte, hatte er doch mit einigen Stars dieser Zeit auf dem Feld gestanden. Auf Michael Owen, Steven Gerrard oder Arjen Robben war er im Europapokal oder in der heimischen Liga getroffen. Mit Dirk Kuyt und Mark van Bommel hatte er die Kabine in der U21 geteilt. Alles Ausnahmekönner, jeder für sich. Aber nicht einmalig. 

Anders der junge Mann, den er Anfang 2015 sehen sollte. Cornelisse kam gerade aus einer Verletzungspause, mal wieder. So ging das nun schon seit Monaten. Immer wieder fehlte er wegen kleinerer oder größerer Blessuren. Für die Mannschaft von Willem II Tilburg stand er kaum noch auf dem Platz. Beim täglichen Pendeln zwischen Rehazentrum und Vereinsarzt hatte er mitbekommen, dass die sportliche Leitung einen Jugendspieler zu den Profis geschickt hatte. Dieser Junge, von dem viele im Klub redeten, der angeblich so gut sein sollte und dessen zukünftiger Weg vorgezeichnet schien in Richtung Spitze.

Cornelisse gab nicht viel auf solche Lobhudeleien. Am eigenen Leib hatte er erfahren, wie schwer es ist, den Erwartungen gerecht zu werden. Er war spät dran an diesem Morgen, der Arzt hatte ihn noch durchgecheckt, die anderen standen längst auf dem Platz. "Das war Glück, so konnte ich etwas beobachten, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. Wirklich noch nie", sagt Cornelisse im Gespräch mit DAZN.

"Frenkie war anders"

Trainer Jurgen Streppel hatte ein Positionsspiel angeordnet. Sieben gegen drei. Für die Sieben ging es darum, den Ball zu halten, die drei mussten ihn erobern. Nur dass das mit dem Erobern nicht klappte. Der Neue, namentlich Frenkie de Jong, stand in der Mitte des kleinen Spielfeldes und verteilte den Ball wie ein Quarterback beim Football. Jeder Pass war präziser als der Schnitt eines Chirurgen. Links, rechts, vorne, hinten – de Jong brachte jeden Ball an den Mitspieler, die drei in der Mitte liefen sich die Lunge aus dem Leib.

"Das war wirklich unglaublich. Normalerweise haben Jugendspieler Probleme, wenn sie die ersten Male zu den Profis kommen. Dort wird viel schneller gespielt, viel robuster, du hast weniger Zeit und musst ständig Entscheidungen treffen. Gerade beim Positionsspiel sehen sie oft schlecht aus. Aber Frenkie war anders. Er hatte nicht nur keine Probleme, er war der dominierende Spieler auf dem Feld. Die Älteren suchten ihn bewusst, alles was er machte, war von solch einer Ruhe geprägt, wie ich sie bei keinem Spieler zuvor gesehen hatte", erzählt Cornelisse, der heute als Jugendtrainer bei Vitesse Arnheim arbeitet.

*NO TEASER* Frenkie De Jong Willem IIQuelle: Getty Images

Im Alter von acht Jahren war de Jong aus seiner Heimatstadt Arkel vom dortigen ASV zu Willem II gekommen. Das war an sich schon eine Überraschung und sorgte im Hause de Jong für Kopfschütteln. Vater und Mutter, beides aktive Amateurfußballer, waren glühende Fans von Feyenoord Rotterdam und hätten es gern gesehen, wenn ihr Sohn das Angebot ihres Lieblingsklubs angenommen hätte.

Der aber, benannt nach der britischen Achtzigerjahre Band Frankie goes to Hollywood, hatte schon früh seinen eigenen Kopf und zog einen Wechsel ins näher gelegene Tilburg vor. Aufgefallen war er den Spähern von Willem II und Feyenoord bei mehreren Spielen mit Arkel. Seine Ballbeherrschung und Übersicht waren auf einem viel höheren Niveau als in dieser Altersklasse üblich.

Beine wie ein Storch, spotteten andere Eltern

Frenkie ging also nicht nach Hollywood, sondern nach Tilburg, wo er sich in der Jugendakademie schnell zurechtfand. Willem II teilte sich die Ausbildungseinrichtung zu dieser Zeit mit RKC Waalwijk, in der Spielgemeinschaft stieg de Jong schnell zu dem Jungen auf, von dem alle redeten. Weil er seinen Altersgenossen zu überlegen war, spielte er immer in der nächsthöheren Altersklasse mit. Selbst dort zählte er als Spielgestalter im Mittelfeld regelmäßig zu den Besten.

Dass er klein und schmal war und seine Beine von gegnerischen Eltern nicht selten mit denen eines Storchs verglichen wurden, tat nichts zur Sache. "In allen Mannschaften ragte er heraus. Solch eine Übersicht und Technik hatten wir bei noch keinem Spieler gesehen", sagte sein ehemaliger Jugendtrainer Jos Bogers im spanischen Radio bei Cadena SER.

Es war also nur logisch, dass de Jong noch vor seinem 18. Geburtstag bei den Männern aufschlagen würde. "Wir waren wirklich beeindruckt und mir war klar, dass dieser Junge unmöglich bei uns bleiben würde", sagt Cornelisse. Wirklich beeindruckt, wie er sagt, waren zwar die Mitspieler, aber nicht der Trainer.

Jurgen Streppel, ein erfahrener Coach, der heute bei Roda Kerkrade arbeitet, ließ de Jong zwar regelmäßig mittrainieren, setzte ihn aber nicht ein. Obwohl Willem II in der Saison 2014/15 als Aufsteiger im gesicherten Mittelfeld stand, durfte de Jong erst am vorletzten Spieltag sein Debüt geben. Gegen ADO Den Haag kam er nach rund einer Stunde und zeigte, über welch große Fähigkeiten er verfügt. "Das war Wow, da hat jeder gesagt: Der kann alles, was für ein Spieler", sagt Robert Braber im Gespräch mit DAZN, der damals ebenfalls bei Willem II spielt.

"Solche Spieler will man sehen"

Zu einem weiteren Einsatz kam de Jong nicht. Die wenige Spielzeit des Talents führte zu Konflikten im Klub. Geschäftsführer Berry van Gool kritisierte Streppel im Brabants Dagblad. "Frenkie ist das größte Talent, das hier rumläuft. Ich bin kein Trainer, aber ich bin Fußballliebhaber. Solche Spieler will man sehen", sagt er.

Wie gut de Jong schon damals war, wusste nicht nur Direktor van Gool, auch die Konkurrenz hatte längst mitbekommen, was da in Tilburg vor sich geht. Eindhoven und Ajax gaben Angebote ab, de Jong entschied sich für Ajax. Mit den Amsterdamern einigte sich Willem II auf ein ungewöhnliches Geschäft. Der Spieler wechselte für die symbolische Ablöse von einem Euro, im Gegenzug verlieh Ajax vier eigene Talente nach Tilburg. Dabei handelte es sich um Lucas Andersen, Richairo Zivkovic, Ruben Ligeon und Lesly de Sa.

Niemand von ihnen sollte je einen Gewinn für Willem II darstellen, aber die Verantwortlichen waren umsichtig genug, sich vertraglich eine hohe Beteiligung zusichern zu lassen, sollte der Spieler von Ajax weiterverkauft werden. Zudem durfte de Jong per Leihe noch ein Jahr bei Willem II bleiben. Das stellte sich jedoch schnell als großes Missverständnis heraus.

Willem II geriet von Beginn an in den Abstiegskampf, Trainer Streppel, dessen aktueller Verein Kerkrade eine Interviewanfrage von DAZN unbeantwortet ließ, setzte noch weniger auf de Jong als in der Vorsaison. "Der Trainer wollte, dass wir kämpfen und dagegenhalten. Frenkie wollte Fußball spielen. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt und die richtige Mannschaft für ihn", sagt Braber.

"Spiel den Ball ab"

De Jong ließ sich von den äußeren Umständen nicht beeinflussen, spielte einfach so, wie er es für richtig hielt. Im Training ging er einmal mit dem Ball am Fuß an zwei, drei Gegenspielern vorbei, am vierten blieb er hängen. Trainer Streppel schrie: "Spiel den Ball ab."

"In diesen Momenten war zu sehen, wie stark er mental schon mit 18 Jahren war. Frenkie hatte keine Angst, dem war völlig egal, ob ihn der Trainer oder ein Mitspieler anschrie. Beim nächsten Mal machte er es genauso, nur besser. Dann blieb er im Dribbling nicht mehr hängen", sagt Braber.

Bei Ajax sahen sie mit Sorgen, wie de Jong in Tilburg vom Trainer ignoriert wurde. Zur Winterpause zogen sie ihn ab, die Rückrunde verbrachte de Jong bereits bei Ajax' Reserve in der zweiten Liga. Am Tag seines Abschieds sagte Braber zu Kapitän Jordens Peters: "Der packt das in Amsterdam. Das ist ein typischer Ajax-Spieler."

Braber sollte Recht behalten, de Jong packte es nicht nur bei Ajax, er wechselte drei Jahre später für eine Ablöse von rund 75 Millionen Euro zum FC Barcelona. Ein hoher einstelliger Millionenbetrag ging davon zu Willem II. Auch Waalwijk bekam als Teilhaber der Akademie Geld. Genug, um vom einen Moment auf den anderen alle Schulden tilgen zu können.