Es sollte alles besser werden. Und der erste Schritt wurde gemacht. In seinem ersten Spiel für Inter Mailand schießt Stevan Jovetic gegen Atalanta Bergamo tief in der Nachspielzeit mit einem vorzüglichen Schlenzer tief in der Nachspielzeit den 1:0-Siegtreffer. San Siro steht Kopf, Zehntausende schreien lauthals seinen Namen, die neuen Mannschaftskollegen lassen ihn in der Jubeltraube verschwinden, selbst Trainer Roberto Mancini ist mittendrin.
Mancini, dem Jovetic schon als Teenager ins Auge gefallen war, der ihn 2012 als Trainer von Manchester City haben wollte, ihn jetzt, drei Jahre später, als Inter-Coach bekam. City, zu dem Jovetic 2013 für viel Geld wechselte, kein Mancini mehr da, stattdessen Manuel Pellegrini. Mit dem er zwei Jahre lang einen kompletten Reinfall erlebte.
Der Neustart bei Inter gelingt gut. Endlich durchstarten, endlich wieder wichtig sein. Das Tor gegen Atalanta, es folgt ein Doppelpack gegen Carpi. Startelf in einem starken Team, Siegesserie, Tabellenspitze, Heimatgefühl Italien, eine ordentliche Fitness und Mancini an der Seitenlinie. Es klingt so verheißungsvoll. Doch es entpuppt sich als Strohfeuer. Nach einem Drittel der Spielzeit bricht wieder alles zusammen.
Die Einsatzzeiten schwinden, Ergebniskrise, Torlosigkeit, Ergänzungsspieler. Wie schon bei ManCity. Und spätestens jetzt stellt sich die Frage: Was ist passiert, dass aus einem der talentiertesten und torgefährlichsten jungen Stürmer Europas ein verletzungsanfälliger Mitläufer ohne relevanten Einfluss auf den Erfolg des Teams geworden ist?
Blitzstart in Belgrad und Florenz
Schließlich lag Jovetic vor wenigen Jahren noch ganz Florenz zu Füßen. Fünf Jahre spielte er für La Viola. Unbekümmert, dynamisch und torgefährlich wuchs er zum wichtigsten und beliebtesten Spieler der Fiorentina heran, traf regelmäßig, gefiel aber auch abseits des Platzes mit seiner zurückhaltenden und loyalen Art. Real Madrid blitzte 2009 ab, zu Juventus wollte er aufgrund der verbitterten Fan-Rivalität nicht gehen. Ein Kreuzbandriss kostete ihn zwar die komplette Saison 2010/2011, doch auch das warf ihn nicht aus der Bahn. Marktwert und Begehrlichkeit stiegen mit jedem Auftritt.
Die Zeit in Florenz war die erfolgreiche Fortsetzung eines Weges, der nur eine Richtung zu kennen schien: nach oben. Das ging schon bei Partizan Belgrad los. Mit 16 Jahren das Debüt, mit 17 Mannschaftskapitän, mit 18 gewann Partizan mit Jovetic als besten Torschützen vor dem gehassten Rivalen Roter Stern die Meisterschaft, dazu den Pokal. Dann der Schritt in die Serie A als junger, aufregender Offensivspieler mit massig Potential und Entwicklungsspielraum.
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Bomben in Podgorica
Obwohl gerade mal volljährig, war es jetzt schon das zweite Mal, dass er in eine neue Heimat zog. Jovetic wuchs in Podgorica (ehemals Titograd) auf. 1999 ist er zehn Jahre alt, als die NATO im Kosovokrieg die Hauptstadt Montenegros bombardiert. "Wir haben in den Straßen von Podgorica gekickt", erinnert sich Jovetic, "dann hörten wir die Sirene. Das war nicht der Schiedsrichterpfiff, das war das Zeichen, dass die Bomben unterwegs sind. Also sind wir alle schnell ins Haus und beteten gemeinsam."
Trotz des Krieges erzählt Jovetic von einer guten und fröhlichen Kindheit. Seine Mutter war Fahrlehrerin, der Papa arbeitete für die Regierung. Der Sohn verbrachte die meiste Zeit mit dem Fußball auf der Straße. Oder vor dem Fernseher, schwärmend ob der einzigartigen Fähigkeiten eines Andriy Shevchenko: "Er war mein Held. Ich habe alles von ihm gelernt. Ich habe immer Sticker von ihm gesammelt."
Mit 13 ging Jovetics Reise durch Europa dann los. Er wurde in der Jugendakademie von Partizan Belgrad aufgenommen. Seine vier Jahre ältere Schwester begleitete ihn. Zwei Teenager-Geschwister allein in einer fremden Stadt, 500 Kilometer vom Elternhaus entfernt. Die Schwester profitierte vom besser entwickelten Schulsystem in Serbien, Jovetic spielte sich die Jugendabteilungen hoch, bis er unter dem deutschen Trainer Jürgen Röber mit erst 16 bei den Profis debütierte. Er wurde als Jahrhunderttalent gehypt, wurde mit 18 zum jüngsten Kapitän in der Geschichte Partizans. Nach drei Profijahren zahlt Florenz acht Millionen Euro, fünf Jahre später investiert Manchester City sogar 26 Millionen, er sagt damals sogar Real Madrid ab. Die Steine für eine ruhmreiche Karriere waren gelegt.
Ohne Verwendung in Manchester
Doch es sollte anders kommen. Jovetic kam erst spät zu seinem neuen Verein, die Vorbereitung war unausgewogen und lückenhaft. Mit Edin Dzeko und Sergio Agüero sind zwei Platzhirsche schon da, als wäre das nicht genug, kam mit Alvaro Negredo ein weiterer neuer Stürmer für viel Geld. Jovetic bekam kaum Einsatzzeiten, war zudem häufig angeschlagen oder verletzt, kam in keinen Lauf. City gewann zwar Meisterschaft und Ligapokal, Jovetics Zutun dafür war aber gering.
Neben der Verletzungsanfälligkeit und fehlender Fitness warf auch die Transferpolitik der Citizens Fragen auf. Denn Pellegrini hatte offenbar keine echte Verwendung für den teuren Stürmer. "Ich weiß nicht, warum ich nicht spielte“, blickte Jovetic mal zurück, „er hat es mir nie erklärt. Einmal bin ich auf ihn zu und bat ihn, mich drei, vier Mal in Folge zu bringen. Naja, das ist nie eingetroffen. Nicht mal in den Partien, nach denen ich getroffen habe, durfte ich spielen."
Eineinhalb Jahre ging das so. Dann, im Winter 2015, holte Pellegrini noch einen Offensivspieler. Wilfried Bony kam für 32 Millionen Euro von Swansea. Und statt Jovetic wurde der Neuzugang für die K.o.-Phase der Champions League nominiert. Spätestens jetzt war das Band zwischen dem Montenegriner und seinem Verein und Trainer gerissen.
Pellegrini übte sich medial zwar noch in Souveränität, sagte Dinge wie "er wird ein positiver Spieler bleiben" oder "er wird hier weiterhin ein wichtiger Spieler sein", lag damit aber komplett daneben. "Pellegrini hat mich mit dieser Entscheidung gekillt", sagte Jovetic, da war er schon bei Inter, das ihn ein halbes Jahr später für eineinhalb Jahre mit Kaufpflicht auslieh. "Stevan musste leider gehen. Er ist ein guter Spieler - einer der besten, die ich gesehen habe - aber er war zu oft verletzt und deswegen konnte er nie mehrere Spiele in Folge bestreiten", waren Pellegrinis zweifelhafte Abschiedsworte.
Tiefer Fall in Mailand
Jetzt also Inter. Doch obwohl Mancini ein Fan ist, geht auch das in die Hose. Verletzungen und Reisestrapazen mit der Nationalmannschaft, dessen Spiel mit Jovetic steht und fällt und für die er sich entsprechend aufopfert, lassen den guten Start schnell vergessen. Nach einer 1:2-Niederlage gegen Lazio soll es in der Kabine sogar zu einem handfesten Streit zwischen Jovetic und Mancini gekommen sein, der den Rechtsfuß früh aus dem Spiel nahm. Trainer und Spieler winken die Geschichte zwar als mediale Lüge ab, zweifelsfrei aus der Welt schaffen sie sie aber nicht. Zumal auffällig ist, wie wenig Mancini nach diesem Lazio-Spiel auf Jovetic gibt.
Wieder verstreichen eineinhalb Jahre auf der Bank, unzufrieden und zerrissen. In der Hinrunde 2016 können auch die Trainer Frank de Boer und Stefano Pioli beim kopflosen FC Internazionale nichts mit Jovetic anfangen. Im Winter greift dann Inters Kaufpflicht, ein paar Tage später wird er, mit 27 längst dem Talentstatus entwachsen und den Flop-Stempel an den Backen, nach Sevilla verliehen. Das folgende halbe Jahr ist bis jetzt das letzte Hurra seines Werdegangs.
Wiederauferstehung in Sevilla
Für die Andalusier macht Jovetic jedes Spiel, ist in 24 Partien an zwölf Toren beteiligt, sie helfen für die erneute Qualifikation zur Champions League. Doch zu einer festen Verpflichtung kommt es nicht: Sevilla kann sich weder die vorher vereinbarte Ablösesumme leisten noch Jovetics Gehalt allein stemmen.
Er muss zurück zu Inter, dort will ihn aber längst keiner mehr. Angebote kommen rein, eine Hängepartie entwickelt sich, der Markt dreht ob der 222 Neymar-Millionen am Rad. Wenige Tage vor dem Ende der Transferperiode kommt es dann doch noch zum Wechsel nach Monaco. Dort läuft die Saison aber längst. Wieder keine ordentliche Vorbereitung, kaum Anschluss ans Team, früh verletzt. Jovetic erfüllt seinen Vertrag, bleibt vier Jahre in Monaco. Bestreitet aber nur 77 Spiele.
Jetzt ist er 31 Jahre alt und ablösefrei nach Berlin gegangen. Doch was für einen Spieler hat die Hertha eigentlich bekommen? Das abgehalfterte, ewige Talent, das viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht hat (oder machen konnte?)? Oder den erfahrenen Haudegen, der zahlreiche Sprachen und Kulturen kennt und nebenbei immer noch eine ganz gute Torquote aufweist?
Ende offen in Berlin
Jovetics Karriere ist ein Beispiel dafür, dass Talent allein manchmal nicht reicht für den größtmöglichen Erfolg. Timing, Vertrauen, Gesundheit und auch ganz viel Glück sind entscheidende Faktoren. Jovetics Geschichte zeigt aber auch, dass sich großartige Karrieren nicht immer in Titeln und Toren messen lassen.
Er wird am Sonntag gegen Köln womöglich sein Bundesliga-Debüt feiern und damit nach Florin Raducioiu und Christian Poulsen erst der dritte Fußballer sein, der in Italien, England, Spanien, Frankreich und Deutschland gekickt hat. Er lief Seite an Seite mit Top-Stars ihrer Zeit wie Agüero, Falcao und David Silva auf, schoss entscheidende Tore gegen Real Madrid, in Anfield und im San Siro.
Seine technisch feine und elegante Spielweise, am besten als zweite Spitze, aber auch im Mittelfeld oder für die offensiven Außenbahnen geeignet, verschafft ihm Variabilität und Unberechenbarkeit. Bei der Hertha verstärkt er einen Kader mit viel Potential, mit Kevin-Prince Boateng hat er einen zweiten Weltenbummler an seiner Seite, mit dem er Anekdoten teilen kann. Und wenn die Hertha es mit einem gesunden Jovetic schafft, den Weg einzuschlagen, den sie sich selbst vorgegeben hat, ist seine Geschichte auch noch nicht zu Ende erzählt.
Dabei blickt Jovetic schon jetzt auf eine außergewöhnliche Reise zurück. Doch es kann immer noch alles besser werden.