Pünktlich zum Re-Start der Bundesliga ist der Podcast kicker meets DAZN zurück aus der Winterpause! In Folge 149 sind Alex Schlüter und Benni Zander zu Gast bei Daniel Siebert. Der deutsche Schiedsrichter wurde als einer von nur zehn Europäern für die Weltmeisterschaft in Katar nominiert und erlebte dort allein in zwei Spielen sämtliche Höhen und Tiefen, die ein Schiedsrichter erfahren kann.
Nach einer "dankbaren" Premiere im Spiel zwischen Tunesien und Argentinien musste Siebert mit Uruguay vs. Ghana eines der kompliziertesten Spiele der WM leiten. Im Gespräch blickt er zurück auf zwei strittige Elfmeter-Entscheidungen und erzählt davon, wie er von der gesamten uruguayischen Delegation belagert wurde. Warum das manchmal auch einfach nur Pech ist, welche Entscheidungen er wieder treffen würde und was er nach einem Spiel als erstes in der Schiedsrichter-Kabine macht, das alles gibt's bei kicker meets DAZN .
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Daniel Siebert über ...
… seinen persönlichen Rückblick auf die WM
"Die mentale Belastung war mit zwei Spielen nicht so hoch, deswegen habe ich nicht lange gebraucht, um alles zu verarbeiten. Ich musste eher die gesamte Entwicklung innerhalb der vergangenen zwei Jahre etwas Revue passieren lassen. Da braucht man einen Moment länger für. Mit dem Schiedsrichter-Lehrgang schärft man dann aber auch wieder die Sinne und ist eigentlich auch schon wieder hungrig, seinem Amt nachzugehen."
… seinen Weg zur WM-Nominierung
"Es gibt eine Vorauswahl und es ist ein riesiger Casting-Prozess, bevor die 36 Schiedsrichterteams nominiert werden. Der Prozess startet mit dem Ende jeder WM. Zwei Jahre vor WM-Beginn werden dann mögliche Kandidaten, die noch nicht bei einer WM teilgenommen haben, für Junioren-Weltmeisterschaften nominiert und sollen sich da ausprobieren. Das war bei mir in Polen bei der U20-WM 2019 der Fall. Danach gab es vereinzelte Lehrgänge in Doha und Abu Dhabi. Da kamen wir mit allen europäischen Schiedsrichtern zusammen, mussten Leistungstests und Sprachtests machen und uns committen. Und im Sommer 2022 wurde dann die Entscheidung getroffen. Es gab ein Anschreiben der FIFA per Mail mit der offiziellen Liste. Da war man dann dabei und hat sich entsprechend gefreut, dass man den DFB repräsentieren darf."
… seinen WM-Fahrplan
"Wir wurden alle zum 9. November einberufen. Wir hatten zehn Tage zur Vorbereitung vor Ort. Die lief in zwei Blöcken ab. Im physischen Teil haben wir trainiert. Im theoretischen Teil haben wir die einheitliche Regelauslegung besprochen. Und dann wurde noch ein Turnier mit katarischen Teams veranstaltet, sodass wir das, was wir auf theoretischer Ebene gelernt haben, in einem Turnier anwenden konnten. Da ging es dann auch um Spielpraxis. Sodass wir, wenn wir ins erste WM-Spiel gehen, nicht einen Monat Pause hatten. Die Spieler machen es genauso, die gehen auch nicht in ein WM-Spiel ohne letztes Vorbereitungsspiel. Das ist für die Schiedsrichter auch existenziell, um in den Flow zu kommen und sich Selbstvertrauen anzupfeifen."
… Schwerpunkte bei der Vorbereitung
"Die einheitliche Regelauslegung ist wichtig. Wenn ein Schiedsrichter in einem Spiel so pfeift, kann es nicht sein, dass der nächste Schiedsrichter die Szene genau andersrum auslegt. Da kommt schnell der Vorwurf der Willkür, den man vermeiden will. Es sind viele Spiele in einem kurzen Zeitraum, da fällt es leicht zu vergleichen. Deswegen wird drauf geachtet, dass Notbremsen oder Rote Karten einheitlich ausgelegt werden, dafür werden strenge Kriterien an den Tag gelegt. Und dann gab es noch ein paar Besonderheiten wie die sechste Auswechslung bei einer Kopfverletzung oder die Nachspielzeit."
… sein erstes WM-Spiel Tunesien vs. Australien
"Selbstbewusst, und nicht arrogant, hätte ich mir die Note 2,0 gegeben. Es lief für mich gut, die Ansetzung war dankbar. Australien ist eine Mannschaft, die nicht für Unsportlichkeiten oder Unfairness bekannt ist. Und Tunesien war für mich ein Trumpf, die habe ich ein Jahr vorher schon beim Arab-Cup kennengelernt. Ich habe auch gemerkt, dass sie mich wiedererkannt haben und wir vor dem Spiel eine Beziehung aufbauen konnten. Trotz der Dramatik mit dem offenen Spielstand und der Situation, dass beide Mannschaften schlecht ins Turnier gestartet sind, hatten wir die Kontrolle, hatten ein gutes Gefühl und konnten ein, zwei Highlights setzen. Von daher war ich mit dem ersten Spiel sehr, sehr zufrieden."
… WM-Spiele als Zuschauer
"Leider habe ich kein deutsches Spiel gesehen. Wir konnten theoretisch zwar zu jedem Spiel gehen, die Ansage war aber, die 22-Uhr-Spiele zu meiden, vor allem wenn man am nächsten Morgen trainiert, noch dazu aufgrund des Wetters sehr früh. Wenn man die Spiele und das Training professionell vorbereiten möchte, dann geht man nicht noch um 22 Uhr zum Spiel. Bis du dann zurück im Hotel bist, ist es halb zwei. Und das hat nichts mit einer professionellen Vorbereitung oder Handhabe eines WM-Turniers zu tun."
… seine Ansetzung für die Partie Ghana vs. Uruguay
"Der 2. Spieltag war schon rum, bei der Ansetzung war also klar, dass das Spiel Dramatik pur verspricht. Das Spiel war offen und mit Südkorea (gegen Portugal, Anm.) war noch eine dritte Partei mit Ambitionen dabei. Mit der Geschichte aus dem Spiel von 2010 war es zudem eine besondere Konstellation. Vor allem, weil die Spieler von 2010 wie Luis Suarez alle dabei waren. Das macht es noch greifbarer. Im Stadion hast du gespürt, dass es kribbelt. Wir haben vorher viele Gespräche geführt, sind die Szenarien durchgegangen. Wir mussten mit allem rechnen."
(C)GettyImages
… das Parallelspiel Südkorea vs. Portugal
„Der entscheidende Zwischenstand in der Nachspielzeit, als Südkorea getroffen hat, wurde angezeigt: 2:1. Ich hatte gerade einen Freistoß für Uruguay gegeben, das Spiel ruhte, da wurde die Animation eingeblendet samt Stadionmelodie: Südkorea von vier auf zwei, Uruguay von zwei auf drei. Ich habe mich umgesehen und beobachtet, wie die Spieler Uruguays es mitbekommen haben. Und dann wurde die Brechstange ausgepackt.“
… zwei strittige Elfmeter-Entscheidungen gegen Uruguay
"Wenn man sich an den FIFA-Kriterien orientiert, sind es beides keine Elfmeter und Weiterspielen ist die bessere Entscheidung. Das würde ich im Nachhinein wieder so entscheiden. Ich hatte den Vorteil, dass es ähnliche Szenen im Turnierverlauf schon gab. Das meine ich mit einheitlicher Regelauslegung. Wenn zwei Kollegen keinen Elfmeter geben, wenn ein Stürmer bewusst in die Laufbahn eines Verteidigers geht, der sich nicht mehr dagegen wehren kann, so wie es Cavani gemacht hat, dann passe ich mich an und habe keine andere Wahl, als auch so zu entscheiden."
… die Elfmeter-Situation um Cavani
"Wenn du siehst, wie der Verteidiger Cavani von hinten in die Beine läuft, kommst du zu dem Entschluss, das muss ein Elfmeter sein. Du musst aber aufs Detail achten. Wenn du den Fokus schon weiter vorher drauflegst und du siehst, dass der Ball nach links Richtung Eckfahne rollt und Cavani geht nach rechts ohne Ballbesitz in die Laufbahn des Verteidigers, ist es kein Elfmeter."
… ähnliche Elfmeter-Situationen in der Bundesliga
"So eine Szene hatten wir in der Bundesliga noch nicht, weil es kein typisches Stürmerverhalten in Deutschland ist, da einen Elfmeter zu ziehen. Auf einem Lehrgang haben wir uns jetzt dazu committet, in der Bundesliga auch keinen Elfmeter zu geben, weil wir die Stürmer dafür nicht belohnen wollen. Um sich in der Bundesliga einen Elfmeter zu verdienen, muss der Stürmer den Verteidiger mit Ball am Fuß kreuzen. Entweder, er rennt dich über den Haufen, oder er lässt dich gehen und du hast das freie Tor vor dir. Das war bei Cavani nicht der Fall. Er war nur drauf aus, umgerannt zu werden."
… die Konfrontation mit wütenden Uruguayern
„Wir haben alle das Endergebnis im Parallelspiel mitgekriegt. Das Spiel war vorher zu Ende, so war klar, dass Uruguay ausscheidet, wenn sie kein Tor mehr schießen. Sowohl Uruguay als auch ich wurden Opfer des Parallelspiels. Das ist Pech. Wenn Südkorea nicht gewinnt, gehen wir trotz der zwei Elfmeterszenen anders vom Platz. Ich habe schon befürchtet, dass sowas passiert, weil wir die Konstellationen ja im Kopf hatten. Ich habe dann versucht, nah am Spielertunnel abzupfeifen, weil ich eine Konfrontation erwartet habe. Aber selbst die fünf Meter Richtung Tunnel haben nicht ausgereicht, dass mir die Spieler den Weg nicht abschneiden konnten.“
… die Ausschreitungen nach Abpfiff
"Ich dachte, ich kriege die Szene noch unter Kontrolle. Ich will es nicht gutheißen, aber der erste Teil der Proteste war noch erwartbar. Die Emotionen, wenn man frisch ausscheidet, kann ich nachvollziehen. Auch weil die Spieler die Bilder von den Elfmetersituationen gesehen haben. Die sind schwierig und komplex, bei der ersten Szene muss man das entscheidende Detail, dass der Ball gespielt wird, erstmal erkennen. Das nehmen die Spieler auf der Stadionleinwand aus 50 Meter Entfernung nicht wahr. Ich dagegen habe es auf dem Monitor gesehen. Die Spieler haben mich bedrängt, ich habe versucht, die Lage mit Gelben Karten zu beruhigen, habe aber schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert. Dann habe ich versucht, zügig in die Kabine zu kommen. Die wirklich unschönen Bilder sind dann erst vor dem Tunnel passiert, wo der FIFA-Mitarbeiter von hinten mit dem Ellbogen geschlagen und der Assistent geschubst wurde. Das habe ich live nicht mitbekommen, davon wurde mir in der Kabine berichtet bzw. ich habe es im Fernsehen gesehen. Mit Eintritt in die Kabine war Ruhe. Wir hatten keinen Kontakt mehr zu einem Spieler oder Delegierten. Und als wir die Kabine verlassen haben, war keiner mehr da."
… erste Reaktionen in der Schiedsrichter-Kabine
"In der Kabine ist für mich als erstes die Hoffnung da, dass die kniffligen Entscheidungen von der Öffentlichkeit und der Schiedsrichterführung als richtig bewertet werden. Da fiebert man schon richtig mit. Wenn dir in so einem Spiel Fehler attestiert werden und du bist verantwortlich dafür, dass eine Mannschaft aus dem Turnier ausscheidet, dann fühlst du dich schlecht als Schiedsrichter. Dann hast du ein schlechtes Gewissen und die Verarbeitung würde viel länger dauern."
… sein Resümee zum Uruguay-Spiel
"Die Geschehnisse stören schon. Wir reden jetzt darüber und das ist das, was bleibt, wenn man an den Siebert und die WM denkt, das braucht man nicht. Positiv ist aber, dass ich die WM-Erfahrung habe, die mich langfristig besser machen wird. Die Leute wissen, dass ich zwei WM-Spiele gepfiffen habe, auch ein schwieriges, und stark und standhaft geblieben bin. Das steigert die Akzeptanz. Ich kann selbstbewusst in die nächsten Spiele gehen."
… seine WM-Bilanz
"Wenn ich das Turnier bewerten will, muss ich auf den Zeitpunkt der Nominierung zurückspulen. Ich wurde als einer von zehn Europäern für die WM nominiert. Das war für mich nicht selbstverständlich. Ich war sehr froh und dankbar, dass man mir das Vertrauen geschenkt hat, mir dann auch noch ein Spiel gegeben hat, noch dazu ein schwieriges und bedeutendes, das ist auch eine Leistung und ein Zeichen. Ich bin ins Turnier gegangen mit der Hoffnung, ein Spiel zu bekommen und so gut zu sein, dass ich mir ein zweites verdiene, das habe ich geschafft. Dann muss man für den Moment mal demütig und bodenständig sein und sagen: WM-Gruppenphase ist aktuell mein Limit. Das festzuhalten, ist kein Problem für mich. Die WM war für mich völlig zufriedenstellend."
... neue Ziele
"Die Heim-EM 2024 ist ein langfristiges Ziel. In der Bundesliga habe ich im Jahr 2022 nach den Spielen viel zu viele Interviews geben müssen. Und wir wissen ja: Schiedsrichter sind nur dann gefragt, wenn etwas schlecht läuft. Gerade mit dem Bundesligajahr bin ich insgesamt nicht ganz zufrieden. Es muss das Ziel sein für mich persönlich, aber auch für die Schiedsrichtergruppe insgesamt, ein bisschen ruhiger und souveräner durch die Rückrunde zu kommen, um den Leuten nicht zu viele Anlässe für Kritik zu geben. Dafür müssen Fehler ausbleiben. Wir werden immer Diskussionen haben. Aber die einfachen, die vermeidbaren Fehler, würde ein Trainer sagen, die dürfen wir uns nicht erlauben. Da ist es auch schwierig, sich selbst oder die Kollegen zu verteidigen."