In der zurückliegenden Saison war der FC Chelsea um den Jahreswechsel herum ins graue Mittelfeld der Premier League abgestürzt, nach fünf Niederlagen aus acht Ligaspielen musste sogar Trainer und Vereinsikone Frank Lampard seinen Hut nehmen. Mit der Übernahme von Thomas Tuchel an der Seitenlinie gab es an der Stamford Bridge nicht nur Besserung, sondern eine wahre Auferstehung: Binnen vier Monaten mauserte sich der Krisen- wieder zum Topklub - und gewann gegen Manchester City sensationell die Champions League.
Auch für Nationalspieler Antonio Rüdiger war die Saison eine Achterbahnfahrt. Zunächst aussortierter Bankdrücker unter Lampard, stemmte der heute 29-Jährige im Mai als nicht wegzudenkende Abwehrstütze den Henkelpott in den Nachthimmel von Porto.
In der dritten Folge #DAZNmoments spricht Rüdiger über den verrückten Weg der Blues von der sportlichen Talfahrt zum Europapokaltriumph, den Fehler von City-Coach Pep Guardiola, "Big-Game-Player" Kai Havertz und blickt auf seine persönlichen Werdegang seit seiner Zeit beim VfB Stuttgart zurück.
Antonio Rüdiger bei #DAZNmoments über ...
...Chelseas Herangehensweise im Champions-League-Finale: Die Underdog-Rolle hat uns sehr gut gefallen - und zu uns gepasst. […] Wir wussten genau, was wir tun, wir hatten City in der Saison schon in der Liga und im Pokal geschlagen. Das (lange Bälle und geradlinige Aktionen in der Offensive, d.Red.) war der Schlachtplan, genauso auch in den vorherigen Spielen. Natürlich gab es auch Zeiten, in denen wir im Ballbesitz waren, aber gegen eine Mannschaft wie City musst du bescheiden genug sein, um zu wissen, dass sie öfter den Ball haben werden. Und dich drauf einstellen, zu verteidigen.
...Gegner City und die Aufstellung ohne echten Stürmer: Bei Guardiola weißt du nie, was alles möglich ist. Er ist ein Weltklasse-Trainer. In dem Fall hat er sich Gott sei Dank für das Falsche entschieden. […] Sie sind nicht zu greifen und immer unterwegs. Als Verteidiger fragt man sich manchmal: 'Was haben wir jetzt eigentlich zu tun?' […] Was das Pressing angeht, ist City zusammen mit Liverpool das Beste, was es in der Welt gibt.
...Kai Havertz' Spielweise und das Siegtor: Kai bringt Körpergröße mit und hat dafür eine gute Geschwindigkeit. Und er ist ein Big-Game-Player. Kais erste Saison war nicht so berauschend, aber dann so einen Moment zu haben - ich war so happy für Kai.
...die zweite Halbzeit: Das waren lange 45 Minuten plus! (lacht) In der 60. Minute dachte ich mir 'Oh je, immer noch so lange?' In dieser Halbzeit gab es so viele Blocks und Tacklings – wir haben wirklich um unser Leben verteidigt.
...den vieldiskutierten Block gegen Kevin De Bruyne: Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich ihn blocken wollte, aber nicht so, dass er ausgeknockt ist. Das ist nicht meine Art. Ich mag es hart zu spielen, aber ich habe in den letzten fünf Jahren keine Rote Karte gesehen. […]Viele Leute haben danach über die Szene gesprochen, aber das hat mich nicht interessiert, weil ich es nicht mit Absicht gemacht habe. Ich habe ihn danach angerufen und ihm geschrieben, um mich zu entschuldigen. Er meinte, dass alles gut sei und er mich ja kennt. Auch über Social Media hatte ich mich entschuldigt und schnell klargestellt, dass es definitiv keine Absicht war.
...was nach Abpfiff in der Kabine los war: Ich war mental kaputt. Ich saß mit N'Golo Kante – wegen unserer Religion etwas abseits vom Alkohol – einfach da, wir haben uns angeguckt und nichts gesagt. Irgendwann hat N'Golo dann angefangen zu lachen, und wenn er lacht, dann kommen ihm die Tränen und jeder lacht sich automatisch mit kaputt.
...den Druck des Endspiels: Es gab viele Zweifel meiner Person gegenüber. Das Finale war der Punkt, an dem ich zeigen musste: Ich bin noch hier. Das war mein größter Druck. Champions-League-Finale an sich, alles schön, alles gut – aber deswegen war ich nicht so aufgeregt. Das andere war der größere Druck. Es gab keine andere Möglichkeit, als zu gewinnen.
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...wie Tuchel Chelsea zum Champions-League-Sieger geformt hat: Struktur - das war das wichtigste. Das ist, was Thomas Tuchel direkt reingebracht hat. Und am Ende auch diesen Teamgeist, der unser Schlüssel zum Erfolg war. Tuchel und sein Trainerteam sprechen mit jedem, alle sind involviert und keiner ist unwichtig. Einen Top-Trainer zu haben ist gut, aber es gehört auch dazu, wer die Nummer zwei und drei sind. Das spielt eine große Rolle.
...Tuchels Ansage an den unter Lampard zeitweise aussortierten Rüdiger: Tuchel hat mir direkt gesagt, was er von mir fordert: Leader sein, was in meiner Natur liegt, auf das nächste Level kommen und in den Details Dinge verbessern.
...ob er sich die Entwicklung von Mittelfeldklub zum CL-Sieger hätte vorstellen können: Das habe ich mir nicht vorstellen können, das sage ich ganz ehrlich. Das letzte, wovon wir geträumt haben, war dieses Finale. Dass ich persönlich von meinem Potenzial und Können her eines Tages so ein großes Finale spielen kann, daran habe ich immer geglaubt. Aber explizit wir mit Chelsea, in diesem Moment? Nein, da müsste ich lügen.
...seine schwierige Situation unter Lampard: Ich war nicht mehr im Kader. Es hieß, ich sollte gehen, was mir aber nie direkt gesagt wurde. Es wurde mir in den Weg gelegt. Ich war bereit zu gehen und wollte damals zu Tuchel und PSG. Das hat aber nicht geklappt, jeder hat ja mitbekommen, was zwischen Paris und Tuchel passiert ist. Dann habe ich mir gesagt, dass ich bis Winter warte. Kopf runter, hart trainieren und es meinen Kritikern zeigen –. Als es am Ende unter Lampard gekriselt hat, hatte er wieder auf mich gesetzt.
...seine Motivation in dieser Phase: Es gingt nicht um Lampard oder sonst irgendwen, sondern nur um mich. Ich wollte es mir selbst beweisen. Es ging für mich, meine Familie und meinen engsten Kreis darum zu zeigen, dass ich nach wie vor die Qualität habe, mit den Besten mitzuhalten.
...seine persönliche Entwicklung seit VfB-Zeiten: In Stuttgart war ich sehr, sehr wild. Rote Karten … ich war jung und wollte zeigen, dass ich stark und hart bin. Ich wollte meine Gegner spüren lassen: Mit mir kannst du nicht! Man erarbeitet sich mit der Zeit ein Standing und damit Selbstvertrauen. Mit mehr Erfahrung weiß man, wie man mit den Dingen umgehen muss. Auch mit 29 Jahren lerne ich noch neue Sachen, aber ich habe eine gewisse Erfahrung und Ruhe, weswegen man in vielen Situationen besonnener ist. […] Das kommt mit vielen Spielen auf hohem Niveau.
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...Real Madrids Karim Benzema: Wie lange ist er jetzt bei Madrid, zwölf Jahre? Das sagt schon alles. Er hatte auch Tiefs und Zeiten, in denen er unbedingt wegwollte, aber er ist geblieben und das zeigt, wie charakterstark er ist. Auch die Sache mit der französischen Nationalmannschaft: Er wird nicht mehr berufen und holt währenddessen vier Champions-League-Titel. Chapeau, was er leistet! Seit Cristiano Ronaldo weg ist, sieht man seinen richtigen Wert. Für mich ist er aktuell der beste Stürmer. Er hat alles, sein Spielverständnis ist unglaublich.
...seine Mitspieler N'Golo Kante und Jorginho: Ich frage mich manchmal, was es für Kante heißt, sich etwas zu gönnen. Er hat in seinem Leben einfach andere Prioritäten, seinen Glauben und seine Familie. Er isst immer gesund: Brokkoli, Reis mit rotem Pesto und Nüssen. Er ist überragend als Typ. Du hörst ihn auf dem Platz nicht - er redet nicht, er macht einfach. […] Jorginho quatscht durchgehend. Das ist seine Persönlichkeit, er dirigiert. Für mich ist er auf dieser Position einer der besten. Er entscheidet das Tempo, das können nur wenige Spieler.
...ob man sich von Nebenleuten wie Thiago Silva noch etwas abschauen kann: Wenn so eine Persönlichkeit mit so einer großen Erfahrung neben einem spielt, schaut man sich natürlich etwas ab. Aber ich habe eine eigene Spielart. Bei Thiago sieht alles schön und elegant aus, für mich ist das aber nichtmeine Art. Ich versuche eher der harte, kompromisslose Verteidiger zu sein.