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Der Traum von Pirlo: Wie Barças Klublegende Xavi beinahe beim AC Mailand gelandet wäre

Sebastian Stier
Der Traum von Pirlo: Wie Barças Klublegende Xavi beinahe beim AC Mailand gelandet wäreGetty Images
Beim FC Barcelona schien die Konkurrenz übermächtig und dann lockte auch noch Mailand mit einem grandiosen Angebot. Bis Xavis Mutter den Wechsel verhinderte.

An seinem ersten Arbeitstag erschien Xavi Hernandez exakt zwei Stunden und fünfundzwanzig Minuten zu früh. Um 8.35 Uhr war der neue Trainer des FC Barcelona schon auf dem Gelände, lange bevor die für 11 Uhr angesetzte Einheit beginnen sollte. Mit gutem Beispiel vorangehen, das war seine Absicht.

Schließlich hatte er tags zuvor während seiner Vorstellung verkündet, dass nur "Arbeit, Arbeit, Arbeit" den Klub wieder nach vorne bringen könne. Einer Vorstellung, die an Superlativen nicht geizte. 10.500 Zuschauer waren an einem Montag zur Mittagszeit gekommen, zum ersten Mal überhaupt stellte der FC Barcelona einen Trainer im Stadion vor Leuten vor. Diese Ehre war in der Vergangenheit nur Spielern wie Ronaldinho oder Zlatan Ibrahimovic zuteil geworden. "Heute ist ein Tag der Freude, ein Tag, der in die Geschichte des Klubs eingehen wird", sprach Präsident Joan Laporta. Neben ihm winkte Xavi der jubelnden Menge zu, im Hintergrund stand ein Plakat mit dem Konterfei des neuen Trainers, dazu der Schriftzug "Ben tornat a casa, Xavi." Willkommen zu Hause, Xavi.

Der FC Barcelona gilt als die fußballerische Heimat des Mannes, der mit vollem Namen Xavi Hernandez i Creus heißt. Geboren in Terrassa im katalanischen Herzland vor 41 Jahren. Im Alter von elf Jahren wechselte er in die bekannte Jugendakademie La Masia und verließ erst am Ende seiner Karriere den Klub, nach vier Titeln in der Champions League und acht spanischen Meisterschaften. Die Jahre in Katar bei Al-Sadd werden gemeinhin als Ausbildungszeit begriffen, als Notwendigkeit zur Luftveränderung, um dann mit frischem Tatendrang wieder zurückkehren zu können zum Klub seines Lebens. Als nicht weniger bezeichnet Xavi selbst den FC Barcelona.

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Dabei wäre diese innige und so erfolgreiche Verbindung einst beinahe gekappt worden, noch ehe sie hätte Titel und Triumphe hervorbringen können.

Im Sommer 1998 wurde Xavi in den Kader der Profimannschaft berufen. Der damalige Trainer Louis van Gaal wollte, dass der talentierte Junge aus der Reservemannschaft die Vorbereitung mitmacht. Mit Barça B war er wenige Wochen zuvor Drittligameister geworden und hatte den Aufstieg in die zweite Liga geschafft. In der Reserve war er die Schlüsselfigur, alles lief über ihn. Seine Pässe bestimmten den Rhythmus des Spiels, sein Talent war unverkennbar. Aber bei den Profis erwartete ihn eine Nebenrolle. Wenn überhaupt.

Das Dream Team war Geschichte und Barcelona glich der niederländischen Botschaft

Zu dieser Zeit befand sich der FC Barcelona in einem Umbruchprozess. Die Suche nach sich selbst dauerte nun schon zwei Jahre, 1996 hatte sich der Klub von Trainerlegende Johan Cruyff getrennt, die Epoche des Dream Teams war unweigerlich beendet. Die Schlüsselfiguren hatten Barcelona längst verlassen, Romario, Ronald Koeman und Hristo Stoichkov verdingten sich inzwischen woanders. Auch Ronaldo war gegangen, nach nur einem Jahr, hinfort zu Inter Mailand.

An ihre Stelle traten neue, meist internationale Gesichter. Rivaldo war nun der gefeierte Artist in der Manege Camp Nou, ihn umgaben vor allem Niederländer, acht an der Zahl, darunter Patrick Kluivert und die de Boer-Zwillinge Frank und Ronald. Entscheidender für Xavi war aber, dass auf seiner Position im defensiven Mittelfeld Josep Guardiola spielte. Guardiola! Der Spieler, dessen Poster in den Zimmern von La Masia hingen, auch in Xavis. Der bewundert wurde, mehr als alle anderen, weil er Barcelonas Fußball verkörperte wie kein Zweiter. Guardiola war physisch nicht stark, aber er war intelligent. Er war langsam auf den Beinen, aber schnell im Kopf. Ein Fußballer, der woanders kaum Erfolg gehabt hätte, aber in Barcelona Legendenstatus erreichte. Jenen Guardiola zu verdrängen, hielt Xavi für unmöglich. Eher glaubte er daran, den Stadtberg Montjuic auf den Händen hochlaufen zu können.

Umso überraschter war er, als sein Vater Joaquim eines Abends aufgeregt nach Hause kam, um ihm eine Nachricht zu überbringen. "Xavis Vater hatte einen Anruf aus Italien erhalten. Von Alberto Zaccheroni, dem Trainer des AC Mailand. Milan befand sich zu dieser Zeit ebenfalls im Umbruch und Zaccheroni wollte sein Mittelfeld neu aufstellen. Er suchte einen ballsicheren Spielgestalter, von Xavis Talent war er begeistert", erzählt Javier Miguel im Gespräch mit DAZN . Der spanische Journalist gehört zum engsten Vertrautenkreis Xavis, er hat ein Buch über ihn geschrieben, da war Xavi noch aktiv. Der Titel: "Barça ist mein Leben".

Xavi Andrea Pirlo FC Barcelona AC Mailand
Bild: Getty Images

Entgegen der allgemeinen Auffassung der späten Neunziger hatte Zaccheroni eine Vorliebe für kleine Spieler, die gut mit dem Ball umgehen konnten. In seine Gedankenspiele band er auch einen jungen Italiener ein, der über ähnliche Fähigkeiten verfügte wie Xavi. Sein Name: Andrea Pirlo. Aber Pirlo hatte bereits angedeutet, einen Wechsel zum Stadtrivalen Inter zu bevorzugen, also setzten Zaccheroni und sein Sportdirektor Adriano Galliani alles auf Xavi. "Er bot ihm einen Dreijahresvertrag und das Dreifache an Gehalt an", sagt Javier Miguel.

"Hier geht niemand irgendwo hin", rief Xavis Mutter

Xavi und sein Vater waren nicht nur wegen der Konditionen entzückt, dem jungen Fußballer gefiel es auch, umworben zu werden. Vom AC Mailand! Einem Klub vom Rang Barças. Das schmeichelte. Xavi träumte vom San Siro, ehe ihn seine Mutter Maria mit einem lauten Knall in die Realität zurückholte. "Sie schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: 'Hier geht niemand irgendwo hin'", sagt Javier Miguel. Mutter Maria, seit Kindertagen Culé, also Barça-Fan, wünschte sich ihren Sohn im Camp Nou in Blau-Grana zu sehen. "Sie wollte, dass er sich durchsetzt, auch wenn sie wusste, dass es schwer werden würde. Schließlich war da Guardiola", sagt Javier Miguel.

Was weder Xavis Familie noch er selbst wussten: dass Guardiola sich nie mehr vollständig von der schweren Knieverletzung erholen würde, die er während der Spielzeit 1997/98 erlitten hatte. Xavi wurde in seiner ersten Saison regelmäßig eingesetzt und verdrängte bald schon Guardiola von dessen Thron im Mittelfeld.

Ausgerechnet Guardiola sollte es dann sein, der Jahre später einen zweiten möglichen Wechsel Xavis zum AC Mailand verhinderte.

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Wie einst sein Vorbild erlitt Xavi 2005 eine schwere Knieverletzung. Als Zuschauer musste er mitansehen, wie Barça angeführt von Deco und Ronaldinho zum zweiten Mal in seiner Geschichte die Champions League gewann. Nach außen versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, aber innerlich hegte er Zweifel. Längst hatte er sich bei den Profis bewiesen, aber als Spieler aus der klubeigenen Akademie fühlte er sich weit weniger wertgeschätzt als die externen Stars Ronaldinho und Deco. Außerdem funktionierte die Mannschaft ja bestens ohne ihn. Xavi kämpfte sich zurück, machte wieder viele Spiele, aber die Zweifel blieben. Erst Recht, als es in der letzten Saison unter Frank Rijkaard nicht mehr lief. Der Gedanke, Barça zu verlassen kam immer mal wieder auf, auch weil Mailand den Kontakt nie gänzlich abreißen ließ. Andrea Pirlo hatte inzwischen doch den Weg zum AC gefunden und die Vorstellung, mit dem hochveranlagten Italiener ein Mittelfeld zu bespielen reizte Xavi. "Für Pirlo hatte er immer Bewunderung übrig", sagt Miguel.

Guardiola sucht zuerst Xavi auf, er weiß, wie der sich fühlt

Dieses Mal war es aber nicht Mutter Maria, sondern der neue Trainer des FC Barcelona, der Xavis Träumerei unterbrach. Noch bevor er mit irgendeinem Spieler sprach, suchte Guardiola Xavi auf. Er kannte dessen Gefühlswelt nur zu gut, ihm selbst war es nicht anders ergangen. "Ohne dich kann ich mir die Mannschaft nicht vorstellen", sagte er. Dann eröffnete er ihm detailliert seine Pläne, in denen Xavi eine zentrale Rolle spielte. Die Mannschaft, die erfolgreicher und stilbildender werden sollte als alle ihre Vorgänger, wurde in diesem Moment geboren. An ihr möchte sich Xavi Hernandez in Zukunft als Trainer orientieren. Dass er ebenso an ihren Erfolgen gemessen wird, weiß er als Kind des FC Barcelona nur zu gut.

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