Einem jungen Menschen wird es schnell mal als Hybris ausgelegt, wenn er von sich selbst behauptet, dass er es geschafft habe. In den Sinn kommen einem dann vielleicht die Gaukler und Entrepreneure, die in den sozialen Netzwerken mit ihrem Wohlstand prahlen, mit ihren Autos, Uhren und zweifelhaften Geschäftsideen. Aber man denkt nicht unbedingt an den 20-jährigen Mittelfeldmann Ebrima Darboe aus Gambia, der in einem wackeligen Video genau diese Worte sagt: "Io ce l’ho fatta." Ich habe es geschafft.
Darboe spielt im Profiteam der AS Roma, unter einem gewissen José Mourinho, weiterhin bekannt unter dem Pseudonym "The Special One" und einer der erfolgreichsten Trainer der vergangenen Dekaden. Das kann bei einem jungen Fußballer schon mal zu Hochmut führen, zu Blasiertheit und Selbstüberschätzung. Doch Darboe ist frei von Vorwürfen dieser Art, er gilt als Musterschüler, der noch einiges vor hat in seiner Karriere. Geschafft hat er vielmehr etwas, das die meisten seiner Berufskollegen nur aus Erzählungen kennen: Darboe ist als 14-Jähriger auf europäischem Festland angekommen, in einem Flüchtlingsboot nach einer langen und beschwerlichen Reise übers Mittelmeer.
"Viele von uns sind losgezogen und niemals angekommen", erinnert sich Darboe in dem Video an die erste Episode seines Lebens. Es ist ein Leben, in dem ein Mangel am Nötigsten normal ist. Darboe kam in Bakoteh zur Welt, ein Dorf im Einzugsgebiet von Serekunda, der größten Stadt Gambias. "Eine Gegend, in der es zu wenig zu essen und eine Menge Probleme gibt", sagt Darboe, was wohl schon ausreicht, um sich ein Bild von den dortigen Lebensumständen zu machen. Sein Vater starb jung, weshalb es für die Familie noch schwerer ist, im Alltag über die Runden zu kommen. Eine wirkliche Perspektive gibt es hier nicht, also nimmt Darboe Abschied von seiner Familie, mit nichts im Gepäck als "einem Ball und vielen Träumen".
Eine Zeit voller Gewalt, Misshandlungen und Angstzuständen
Schlepper bringen ihn in eine Flüchtlingsunterkunft in Libyen, nur ein Zwischenstopp bis zur Weiterreise nach Europa, aber eine Zeit voller Gewalt, Misshandlungen und Angstzuständen. Nach einigen Wochen darf Darboe schließlich in das Boot in Richtung Italien steigen, zusammen mit Dutzenden anderer Menschen, die vor Hunger und Krieg fliehen. Gemeinsam schaffen sie es nach Sizilien, wo sie Wochen später an Land gehen. Darboe wird dort einem Schutzlager für Asylsuchende zugewiesen, in dem es auch medizinische Betreuung gibt. Nach der monatelangen Tortur wiegt er nur noch 50 Kilo, bei einer Größe von 1,80 Metern.
Das allein wäre schon eine Geschichte, über deren Ausgang niemand in der Familie Darboes traurig gewesen wäre, als der junge Ebrima seine Heimat hinter sich ließ. Doch dann kommt noch der Sport hinzu, der ihm einen sagenhaften Aufstieg ermöglicht. Darboe kommt unter bei einer Familie in Rieti, eine Gemeinde in der Region Lazio. Dort beginnt er in einer kleinen Amateurmannschaft zu kicken, seit Monaten hatte er gegen keinen Ball mehr getreten, sein Überblick und seine Feinmotorik fallen aber schnell auf. Und zwar genau der richtigen Person: Miriam Peruzzi, eine Spielerberaterin mit engen Drähten zur AS Roma.
"Als ich Ebrima zum ersten Mal sah, da war mir sofort klar, dass er über hervorragende taktische Fähigkeiten verfügt", sagte sie neulich in einem Interview mit Calciomercato.com: "Er hat immer den Kopf gedreht und nach der besten Passlösung gesucht." Peruzzi ermöglicht ihm ein Probetraining in der Primavera der Roma, in der höchsten Spielklasse in Italiens Jugendligen. Und Darboe nutzt die Chance: Er setzt sich durch im Team von Alberto De Rossi, einem der renommiertesten Talentförderer des Landes.
"Es ist selten, einen Jungen zu finden, der so selbstbewusst und ruhig am Ball ist"
Unter De Rossi lernt Darboe die Härte und die taktischen Feinheiten im italienischen Fußball kennen, er spielt physischer, direkter, cleverer. Und er orientiert sich an seinen Vorbildern Radja Nainggolan sowie, na klar: Roma-Legende Daniele De Rossi, der Sohn seines Trainers Alberto. In Trigoria, dem Trainingsgelände der Roma, gerät er ins Blickfeld von Paulo Fonseca, in der vergangenen Saison Chefcoach der Roma. Fonseca verhilft Darboe zu seinem Profidebüt, vier Jahre nach seiner Ankunft auf dem Boot in Sizilien.
"Es ist selten, einen Jungen zu finden, der so selbstbewusst und ruhig am Ball ist", sagte der Portugiese einmal über Darboe. Auch unter dessen Nachfolger und Landsmann José Mourinho, der seit dieser Spielzeit in sportlicher Verantwortung bei den Giallorossi steht, kommt Darboe zu Einsätzen, bislang jedoch eher sporadisch. Die Konkurrenz ist groß im Mittelfeldzentrum, das Trio aus Lorenzo Pellegrini, Bryan Cristante und Jordan Veretout scheint gerade unverrückbar unter Mourinho. Doch Darboe, das betont Mourinho unablässig, gehöre die Zukunft bei der Roma.
Dafür müsste sein im Jahr 2023 auslaufender Vertrag jedoch verlängert werden, zuletzt wurde immer wieder über Interessenten aus England spekuliert, darunter Tottenham Hotspur oder der FC Fulham. Junge Spieler haben es bisweilen schwer in Italien, die Trainer setzen häufig auf Veteranen und Physis. Und: Derzeit verdient Darboe angeblich 50.000 Euro, die er nahezu komplett an seine Mutter in die einstige Heimat schickt. Eine Summe zwar, die er vor einigen Jahren nicht in seinen kühnsten Träumen erwogen hätte – aber jetzt ist Darboe, der Flüchtling aus Gambia, nun mal Teil der Fußballbranche. Und da wird hart verhandelt. "Wenn er bleibt, dann, weil er unter Mourinho eine Chance haben könnte", sagte seine Beraterin Peruzzi unlängst: "Andernfalls wird er den Verein und Italien verlassen." Sie hat jedoch mehr als nur seinen sportlichen Werdegang im Blick: Peruzzis Vater, der ein enges Verhältnis zu Darboe pflegt, wird ihn als Adoptivsohn in die Familie aufnehmen.
"Er wird ein Peruzzi", sagte sie, "Ebrima Darboe Peruzzi". Und der ist kein Leichtgewicht mehr: Ebrima Darboe Peruzzi wiegt jetzt 70 Kilo.