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Rollstuhl, neu Laufen lernen und mit 20 noch 4. Liga: Die bewegende Geschichte von Ferland Mendy

Raphael Weiss
Rollstuhl, neu Laufen lernen und mit 20 noch 4. Liga: Die bewegende Geschichte von Ferland MendyGetty Images
Der Vater starb früh, mit 14 saß er monatelang im Rollstuhl, musste neu lernen zu laufen. Erst mit 20 schaffte er es zum Profi, heute ist Ferland Mendy Shootingstar bei Real Madrid. Hier ist seine unglaubliche Geschichte.

In der 83. Minute des Clásicos hätte Ferland Mendy einen der seltenen Rückschläge Profikarriere erleben können. Der Mann, für den es seit Jahren einfach nur steil bergauf geht, griff einen kurzen Moment an den Arm von Martin Braithwaite. Nur noch sieben Minuten waren zu spielen, Real Madrid lag 2:1 vorne und der Stürmer des FC Barcelona begegnete dem Außenverteidiger von den Blancos im Strafraum. Die Situation war eigentlich schon geklärt, doch Mendy schien überrascht, dass der Däne plötzlich auftauchte und am Ball war. Ein kurzer Reflex, ein Griff ans Trikot und schon flog Braithwaite durch den Platzregen der madrilenischen Nacht. Die Barça-Spieler protestierten, schrien, gestikulierten. Doch die Pfeife von Jesus Gil Manzano blieb stumm. Kein Elfmeter. Eine Entscheidung, die Barça-Trainer Ronald Koeman nach dem Spiel als klaren Fehler einordnete und selbst am nächsten Morgen auf Twitter noch einmal nachlegte: "Falsche Entscheidung von Schiedsrichter und VAR."

Es blieb beim 2:1 Sieg und Mendy wird froh sein, dass Manzano bei dieser 50:50-Entscheidung nicht auf den Punkt zeigte. Es könnte die entscheidende Szene im spanischen Meisterschaftskampf sein. Und Mendy hätte mit seinem ungestümen Zweikampf Schuld sein können, dass Real am Ende der Saison ohne Titel da steht. Etwas, das die nachtragende spanische Sportpresse sicher so schnell nicht vergessen würde. Denn in Madrid reicht ein solcher Fehler aus, um bei Journalisten und den anspruchsvollen Fans, bei denen selbst Größen wie Cristiano Ronaldo und Karim Benzema ausgepfiffen werden, in Ungnade zu fallen. Ob das die Karriere von Mendy zerstört hätte, ist allerdings mehr als fraglich.

Denn Rückschläge kennt Mendy nur zu gut. Das Talent des Franzosen fiel schon früh auf. Mit neun Jahren kam er an die Jugendakademie von Paris Saint-Germain. Zwei Jahre später verstarb sein Vater. "Er war es immer gewesen, der mich jeden Tag zum Fußball gefahren hatte, der alles für mich gemacht hatte. Es war sehr hart und schwierig, mich wieder aus diesem Tief herauszuziehen. Wegen ihm will ich soweit kommen, wie es nur geht. Ich will zeigen, dass alles, was er für mich getan hat, nicht umsonst war", sagte Mendy einmal dem Vereins-Sender von Real Madrid.

Rollstuhl und sieben Monate Krankenhaus: Die tragische Kindheit von Ferland Mendy

Drei Jahre später, der nächste harte Rückschlag. Mit 14 Jahren bekam Mendy nach einer Verletzung starke Schmerzen in seinen Beinen. Die Ärzte diagnostizierten Arthritis in der Hüfte. Mendy musste operiert werden und war danach vier Monate auf einen Rollstuhl angewiesen. Es hieß, er würde nie wieder Fußball spielen können, selbst dass er wieder laufen können würde, war nicht sicher. Eine Beinamputation wurde diskutiert. Sieben Monate lang war Mendy im Krankenhaus. Während sich seine Mitspieler Presnel Kimpembe, Adrien Rabiot und Kingsley Coman in der Jugendakademie einen Namen machten, musste Mendy wieder laufen lernen. Zehn Jahre später wird er diese Geschichte mit Tränen in den Augen und brechender Stimme auf seiner ersten Pressekonferenz als Spieler des größten Vereins der Welt erzählen.

Doch bis zu diesem Moment hatte Mendy noch einen langen Weg vor sich. Die medizinische Abteilung von PSG kümmerte sich um ihn und so konnte er zunächst seine ersten Schritte und irgendwann wieder erste Trainingseinheiten machen. Doch seine Teamkameraden waren ihm mittlerweile enteilt. "Ich musste von neu anfangen - körperlich, aber auch technisch. Alles war kompliziert, es war eine Katastrophe", erzählte Mendy in einem Interview mit Le Parisienne . Doch er kämpfte sich zurück in die Mannschaft. Ein harter Weg. Jedes Spiel, jeden Zweikampf spürte er die Schmerzen. Zwei Jahre lang. Bis die Schmerzen schließlich verschwanden. Mit 17 Jahren dann der nächste Rückschlag. Für den jungen Mendy ging es darum, ob Paris ihm einen Vertrag für die U19 des Vereins anbieten würde. Doch der Klub hatte Zweifel, wartete ab, konnte nicht entscheiden, ob er gut genug war für den nächsten Schritt.

Ein Fehler. Denn Mendy wollte nicht auf diese Entscheidung warten, beschloss, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und unterschrieb einen Vertrag beim Viertligisten FC Mantois, einem Vorortverein von Paris. Ein Jahr später wurde er vom Zweitligisten Le Havre verpflichtet. Doch für den 18-Jährigen war kein Platz in der ersten Mannschaft. Mendy musste wieder kämpfen. Zwei Jahre lang wartete er in der zweiten Mannschaft auf seine Chance – und bekam sie schließlich. Mit 20 Jahren, fünf Jahre nachdem Mendy das Gehen neu gelernt hatte, machte er sein Profi-Debüt in der zweiten Französischen Liga.

Ferland Mendy
Ferland Mendy

Märchenhafter Aufstieg: Aus der vierten Liga bis zu Real

Von diesem Moment an ging es für ihn steil bergauf. Die folgenden Jahren lesen sich wie der Traum jedes Kindes: Vom Talent zum Rollenspieler zum Stammspieler in nur einem Jahr. Eine Saison später überwies Olympique Lyon auf der Suche nach einem Ersatz-Außenverteidiger 5 Millionen Euro an Le Havre für Mendy. Auch hier setzte er sich schnell durch, wurde Stammspieler und konnte nach einer guten Saison mit Lyon seine ersten Champions-League-Minuten spielen: ein 2:1 gegen Manchester City.

Zwei Monate später wachte Mendy auf und hatte fünf verpasste Anrufe von seinem Verein auf dem Handy. "Ich dachte nur: Was habe ich falsch gemacht? Ich habe das Training vergessen!", erzählte Mendy auf einer Pressekonferenz. Doch als er zurückrief, hatte er keinen wütenden Vereinsmitarbeiter am Telefon – Didier Deschamps wollte mit ihm sprechen und ihn für die Nationalmannschaft nominieren, obwohl er wegen seiner schlimmen Verletzung im Teenageralter er noch kein einziges Spiel für eine der Jugendnationalmannschaften Frankreichs gemacht hatte. Wenige Monate später klingelte wieder das Telefon. Diesmal waren die Vertreter von Real Madrid am Telefon. Zinedine Zidane hatte seinen Landsmann beobachtet und wollte ihn langsam als Nachfolger von Marcelo aufbauen. 

Trotz der knapp 50 Millionen Euro Ablösesumme war Mendys Transfer zu Real in der spanischen Hauptstadt im Sommer 2019 eher eine Randnotiz. Neben Eden Hazard, Eder Militao, Rodrygo und Luka Jovic wirkte der Außenverteidiger wie das hässliche Entlein der Transferperiode. Kaum jemand traute dem mit 24 Jahren nicht mehr blutjungen Franzosen zu, Marcelo zu verdrängen, der einer der wichtigsten Spieler von Real Madrid war und mit 30 Jahren noch weit von seinem Ende dort entfernt zu sein schien. Ein guter Backup sollte Mendy werden, mehr nicht. Doch anderthalb Jahre später ist Mendy unbestritten die beste Verpflichtung Madrids in dieser 350-Millionen-Euro Transferperiode. Schon im November 2019 hatte Mendy den Brasilianer als Stammspieler auf der Linksverteidiger-Position verdrängt. Marcelo kam nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz. Auch wenn Zidane für ihn sein System umbauen musste.

Ferland Mendy
Ferland Mendy

Mendy unter Zidane eine Bank

Denn Mendy ist technisch und offensiv nicht ansatzweise so beschlagen wie Marcelo. Etwas, das man dem Franzosen nicht unbedingt vorwerfen kann, zählt sein Konkurrent in diesen Kategorien zu den besten Außenverteidigern aller Zeiten. Dafür ist er körperlich unglaublich robust, ein guter Zweikämpfer und spielt deutlich gradliniger als Marcelo. Gut zu sehen im Clásico. Im Spiel gegen Barcelona war Mendy bis zum Zweikampf gegen Braithwaite in der 83. Minute kaum in Erscheinung getreten – nicht, weil er ein schlechtes Spiel machte, sondern weil er sich exakt an die Vorgaben von Zinedine Zidane hielt. Wenn Barcelona den Ball hatte, was auf 70 Prozent der Zeit zutraf, rückte Mendy weit nach außen in eine Fünferkette, musste zwischen Lionel Messi, Ousmane Dembélé und Segiño Dest wechseln und machte dabei kaum einen Fehler. Im Spielaufbau war Mendy nur wenig eingebunden, da Lucas Vazquez als asyemmtrisches Pendant den offensiven Außenverteidiger Part einnahm und Mendy als dritter Innenverteidiger die Angriffe Real absicherte.

Doch diese Rolle wird wohl eher eine Ausnahme bleiben. Für gewöhnlich ist Mendy ein wichtiger Teil im Spielaufbau Real Madrids. Besonders wenn Sergio Ramos, der in dieser Saison häufig mit Verletzungen zu kämpfen hat, nicht spielt, ist der Außenverteidiger einer der primären Anspielstationen im ersten Drittel. Und auch in der Vorwärtsbewegung ist das Duo Mendy und Vinicius Junior das Mittel der Wahl für Zidane. 42 Prozent der Real-Angriffe kommen in dieser Saison über die linke Seite. Nur Eibar und Osasuna greifen in La Liga ähnlich oft über die linke Flanke an. Anders als Marcelo geht Mendy dabei eher selten mit Dribblings zur Grundlinie, sondern fokussiert sich auf Passspiel und zieht, wenn sich die Möglichkeit bietet, in den Strafraum, um dem eher kleingewachsenen Real-Angriff als Kopfball-Anspielstation zu dienen.

Ein gradliniger Spieler, der gerade als solcher dem Star-Ensemble von Real Madrid guttut. Der es in kürzester Zeit geschafft hat, dass kaum jemand einem der besten Außenverteidiger in der Vereinsgeschichte hinterhertrauert. Der bei jeder Station in seinem Leben es geschafft hat, sich trotz widrigster Umstände durchzusetzen. Der nach einer schlimmen Verletzung im Jugendalter zu einem Stammspieler beim größten Verein der Welt und dem amtierenden Weltmeister zu werden. Trotz Rollstuhl. Doch Mendy würde nicht "trotz" sagen. Er würde sagen: wegen. In seinen Worten: "Es ist absolut klar, dass diese Verletzung mich stärker gemacht. Sie hat mir beigebracht, niemals das Handtuch zu werfen und entschlossener zu sein."