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UEFA Champions League

Jose Mourinho im Interview: "Kimmich hat alle Qualitäten, die ein Trainer sehen und haben will"

John McDonnell
Jose Mourinho im Interview: "Kimmich hat alle Qualitäten, die ein Trainer sehen und haben will"DAZN
Jose Mourinho hat als Trainer schon zweimal die Champions League gewonnen. Im Interview blickt er auf das Finale zwischen den Bayern und PSG.

Herr Mourinho, die Bayern gehen als Favorit ins Endspiel am Sonntag. Können Sie sich daran erinnern, wie sie die Münchner mit Inter Mailand 2010 im Finale schlagen konnten?

Jose Mourinho: Oh, das ist lange her. Ich glaube, Thomas Müller dürfte der einzige sein, der damals schon dabei war … Jedenfalls hatten wir damals dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit. Wir hatten einen unglaublichen Lauf, sehr ähnlich zu dem der Bayern derzeit. Sie gewinnen in einer Tour, erzielen jede Menge Tore, spielen sehr intensiven Fußball, wirken frisch. Weil die Bundesliga als erste Liga wieder anfangen und damit auch aufhören konnte. Die Pause war wichtig, um sich gezielt vorzubereiten auf das Finalturnier in Lissabon.

Können Sie sich noch an den Finaltag damals erinnern? An die Ansprache an Ihre Mannschaft?

Mourinho: Ja, sehr klar sogar. Wir hatten diese Kisten bei uns im Hotel, darin diese Gewinner-T-Shirts, die man heutzutage bei so einem Triumph überstreift. Ich habe diese Kisten durch die Gegend gekickt. Ich hasse dieses Marketingzeug. Ich bin sicher, die Bayern werden ebenfalls solche Shirts haben, Paris auch.

Ich kann nur hoffen, dass die weder der Trainer noch die Spieler vor dem Finale zu sehen bekommen. Aber abgesehen davon waren wir sehr zuversichtlich damals. Wir waren nicht mal nervös. Wir hatten damals viele ältere Spieler über 30 im Team, für die war es die "Jetzt oder nie"-Chance. Vier oder fünf Spieler standen vor den letzten beiden Jahren ihrer Karrieren. Wir konnten diese einzigartige Geschichte also nur an diesem Tag schreiben. Wir hatten Barca im Halbfinale ausgeschaltet, die Meisterschaft und den Pokal gewonnen. Unser Selbstvertrauen war enorm - was Besseres kann vor einem Finale mit diesem großen Druck kaum passieren. Deshalb glaube ich auch, dass die Ausgangslage der Bayern jetzt super ist.

Das ist das Geheimnis? Selbstvertrauen?

Mourinho: Schauen Sie sich den Kader der Bayern an: Für sehr viele ist die Situation jetzt ein Deja-vu. Thiago, Müller, Neuer, Boateng, Alaba kennen das schon. Pavard stand zwar noch nie im Champions-League-Finale, ist aber schon Weltmeister. Perisic hat das WM-Finale gespielt. Eigentlich ist das alles nur für Hansi Flick neu. Er steht quasi am Anfang seiner Karriere als Cheftrainer, aber er macht einen fantastischen Job bei den Bayern. Man kann die große Empathie zwischen ihm und seinen Spielern förmlich greifen. Das ist in diesen großen Momenten sehr wichtig.

Jose Mourinho: "Manchmal meinen die Leute, ich sei schon 75"

Die Niederlagen der Bayern im Finale 2010 gegen Ihr Inter und 2012 gegen Chelsea sollen den Münchnern geholfen haben, 2013 dann den Titel zu holen. Wie sehen Sie das?

Mourinho: Sie hätten die Finals auch gewinnen können. Ich denke, das wäre die bessere Lösung gewesen, 2010 zu gewinnen, oder? Sie haben 2013 nicht gewonnen, weil sie drei Jahre zuvor verloren hatten. Aber diese Rückschläge hinterlassen Narben, und am Ende deiner Karriere ist dein Körper übersät mit Narben vieler, vieler Rückschläge.

Aber manchmal hilft es tatsächlich, nach Niederlagen viele Fragen zu stellen, die dann für die Zukunft wichtige Antworten liefern. Das Wichtigste ist aber: Es gibt kein Bedauern! Du kannst gewinnen oder verlieren. So ist das im Fußball, es gibt keine Versprechen. Wenn du sehr gut vorbereitet bist, taktisch, mental, in jeglicher Hinsicht und der Gegner ist einfach besser - dann ist das eben so. Dann kannst nach Hause kommen zu deiner Familie und deinen Freunden und trotzdem gut schlafen. Weil man sich nicht bedauern muss. Aber dafür musst du im Vorfeld alles tun, um die Möglichkeit zu haben, zu gewinnen.

Thomas Müller war vor zehn Jahren schon im Finale, am Sonntag wird er wieder auf dem Platz stehen. Was ist das Geheimnis für so einen anhaltenden Erfolg?

Mourinho: Wenn du in jungen Jahren schon erfolgreich im Fußball bist, vergessen die Leute bisweilen dein Alter. So geht es mir als Trainer auch. Manchmal meinen die Leute, ich sei schon 75. Dabei bin ich 57 Jahre alt. So ist das, wenn man so früh schon auf dem höchsten Niveau auftaucht. Thomas ist doch auch noch nicht alt, er hat halt nur sehr früh angefangen. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber auf mich macht er immer den Eindruck, ein glücklicher Typ zu sein. Und wenn du glücklich bist, lebst du vielleicht nicht automatisch länger, aber doch besser. Auch die Bayern haben eine graue Zeit hinter sich. Aber seit Flick übernommen hat, spielt die Mannschaft wieder Fußball. Thomas Müller fühlt sich wieder wohl. Und wenn er sich wohl fühlt, spielt er auch gut und hilft der Familie. Und steht nun vor einem nächsten großen Moment seiner Karriere.

Jose Mourinho: Kimmich? "Er hat alle Qualitäten, die ein Trainer sehen und haben will"

Sie haben mit vielen großen zentralen Mittelfeldspielern zusammengearbeitet. Wie sehen Sie Joshua Kimmich auf dieser Position?

Mourinho: Ich sehe einen großartigen rechten Außenverteidiger, einen linken Außenverteidiger, einen Innenverteidiger, eine Nummer sechs, Nummer acht, Nummer zehn. Er hat alle Qualitäten, die ein Trainer sehen und haben will. Aus der Ferne betrachtet vermute ich bei ihm einen sehr großen Fußballintellekt, er versteht das Spiel und die Anforderungen auf den verschiedenen Positionen. Er ist ein absolut phänomenaler Spieler, einer der Besten der Welt. Ich bin ein Mannschaftstrainer, kein Einzeltrainer. Für mich steht immer der Teamerfolg im Vordergrund – aber in dieser Mannschaft kann der eine oder andere auch einen dieser individuellen Awards gewinnen.

RB Leipzig hat eine tolle Saison gespielt und eine Mannschaft, die ein wenig an Ihren FC Porto damals erinnert: Ein Team ohne großen Star, mit einem klaren Plan und einem jungen Trainer. Hat Leipzig die Qualität, irgendwann die Champions League zu gewinnen?

Mourinho: Der Vorteil damals in Porto: Ein Jahr vor der Champions League hatten wir den UEFA-Cup gewonnen. Für eine unerfahrene Mannschaft mit einem unerfahrenen Trainer war das sehr wichtig. Wir konnten in die Königsklasse gehen mit Selbstvertrauen, aber ohne großen Druck. Leipzig hat eine gute Saison gespielt. Aber wenn sie damals nicht gegen Tottenhams "zweite Mannschaft" gespielt hätten, wäre es eng geworden. Das war aber nicht ihr Fehler, sie haben nur ihren Job erledigt und uns auseinandergespielt.

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Gegen Paris waren sie noch nicht so weit. Paris ist auch gefährlich, wenn man vermeintlich die Kontrolle über das Spiel hat. Dann schlagen sie plötzlich zu und killen dich. PSG hat keine phänomenale Mannschaft, aber ein paar wirklich phänomenale Spieler. Und damit kann man auch Mannschaften schlagen, die eigentlich besser sind. Große Mannschaften gewinnen über eine Saison verteilt Meisterschaften.

Aber große Spieler gewinnen die großen Spiele. Leipzig ist gegen eine Mannschaft ausgeschieden, die die Königsklasse gewinnen kann. Kann Leipzig das in Zukunft auch? Keine Ahnung, kommt darauf an. Sie haben jetzt Timo Werner verloren, vielleicht kommen bald die dicken Fische und nehmen ihnen Upamecano oder Sabitzer weg und bremsen die Entwicklung. Aber die Red-Bull-Organisation ist erstklassig, mit einer guten Philosophie. Nächste Saison werden sie wieder dabei sein, mit mehr Erfahrung. Ich schätze sie sehr stark ein.

Jose Mourinho: "Als Mannschaft ist PSG irdisch"

Wie gewinnt man die Champions League ohne Superstars im Kader?

Mourinho: Der Modus mit nur einem Spiel statt deren zwei im Hin- und Rückspiel macht alles völlig offen. Die Lage ändert sich dadurch dramatisch. Die zweite Sache ist die, dass die Ligen sich unterschiedlich an Corona anpassen mussten.

Die englischen Mannschaften in der Champions League und Europa League: Das waren müde Truppen, die dorthin geschickt wurden. Ganz im Gegensatz etwa zu den Franzosen, die nach ihrer Pause frisch zum Endturnier kamen. In England spielten wir ohne Pause durch, dann kam die Unterbrechung, ohne Trainingsmöglichkeiten, dann sofort wieder die Pflichtspiele und dann am Ende einer langen Saison die Finalturniere. Die Franzosen waren im Urlaub, hatten ein paar Freundschaftsspiele und waren mental wie körperlich topfit und frisch.

Für diese Mannschaften sind die Endturniere nicht das Ende der letzten Saison, sondern schon der Anfang einer neuen. Deshalb sind diese Teams so frisch. Denn das ist nicht die "echte" Champions League oder Europa League. Dafür gibt es einfach zu viele Einflüsse von außen. Aber wenn du am Ende die Hände am Pokal hast: Job erledigt!

PSG hat jede Menge Superstars im Kader. Glauben Sie, es wäre eine Blamage, die Königsklasse mit dieser Mannschaft nicht in den nächsten Jahren zu gewinnen?

Mourinho: Ich denke, das war es schon in den Jahren zuvor. Das Investment in den letzten vier, fünf, sechs Jahren ist einfach verrückt, die Liste der überragenden Spieler unglaublich. Thiago Silva, Marquinhos, Ibrahimovic, Cavani, Neymar, Mbappe, es gab und gibt nonstop Superstars. Jetzt sind sie zum ersten Mal in dieser Situation. Als Mannschaft sind sie irdisch. Aber einzelne Spieler sind von einer anderen Welt. Sie müssten nun aufblühen, aber die Bayern sind als Mannschaft besser. Aber: Sie müssen wissen, dass Paris sie verletzten kann. Darauf müssen die Bayern sich einstellen.

Sie haben Kylian Mbappe schon oft gelobt. Ist er ein zukünftiger Ballon-d'Or-Gewinner?

Mourinho: Ja. Aber: Ich bin der Meinung, niemand sollte den Ballon d‘Or gewinnen, dessen Team nicht auch erfolgreich war. Könnte ich das alleine entscheiden, würde ich den Preis immer nur Spielern verleihen, die Großes mit ihren Mannschaften geleistet haben. Wenn also Mbappe nicht die Champions League gewinnt, sollte er nicht in Betracht kommen. Aber das ist nur die Sichtweise eines Team-Coaches wie mir. Und Mbappe ist ein Teamplayer.

Kylian Mbappe Neymar Angel Di Maria PSG RB Leipzig 1920

Sie kennen Angel di Maria sehr gut. Ist er der unterbewertetste Spieler der Welt?

Mourinho: Wenn du wie er das Spielfeld und die Kabine bei Real Madrid mit Spielern wie Ronaldo teilen musste, stehst du immer im Schatten. In Paris ist das nun in etwa das gleiche mit Mbappe und Neymar. Aber jeder Trainer, der mit ihm zusammenarbeitet, muss sich privilegiert fühlen. So wie ich damals. Wir wissen alle, wie gut er ist und wie viel er einem Team geben kann. Und es ist kein Zufall, dass er nun wieder mit einem anderen Klub im Champions-League-Finale steht.

Können Sie von einem Sieg oder einer Niederlage in der Champions League erzählen, die Sie in Ihrer Karriere am meisten beeinflusst hat?

Mourinho: Am meisten gelernt habe ich von der Niederlage gegen Liverpool im Halbfinale - nach einem Tor, das keines war. Damals waren wir noch weit entfernt, über Torlinientechnologie überhaupt nachzudenken. Aber von diesem Moment an habe ich allen Leuten im meinem Umfeld gesagt: Die Evolution schreitet in allen Bereichen des Lebens voran. Warum um Himmels willen nicht auch im Fußball? Warum gibt es keine Torlinientechnik? Wir haben verloren, dabei hatte der Ball die Torlinie noch nicht einmal berührt. Das habe ich daraus gelernt: Dass der Fußball sich bewegen muss und die Technologien nutzen muss, die es gibt.

Sie waren in vier europäischen Finals. Was ist Ihr Geheimnis?

Mourinho: Das werde ich Ihnen nicht verraten, ich will schließlich noch ein fünftes Mal ins Finale!

Jose Mourinho: "Der Fußball ist für die Fans, die nachts im Trikot ihres Klubs ins Bett gehen"

Sie sind einer der Experten für so genannten Do-or-die-Spiele. Wie geht die Partie am Sonntag aus?

Mourinho: Das fragen mich Freunde und Familienangehörige auch dauernd. Weil sie glauben, ich sei ein Experte dafür. Das bin ich aber nicht, ich bin sogar richtig schlecht darin, Spiele zu tippen. Ich sage immer: Im Halbfinale hast du eine 25-prozentige Chance auf den Titel, als Finalist sind es dann 50 Prozent. Ich werde jetzt nicht sagen: Ich möchte, dass diese oder jene Mannschaft gewinnt. Das möchte ich auch nicht. Mir gefällt aber grundsätzlich das Konzept eines echten Teams mit einigen speziellen Spielern mehr, als ein paar spezielle Spieler, die eine Mannschaft tragen.

Der spezielle Modus dieser Endturniere kommt sehr gut an. Sie bevorzugen aber die herkömmliche Variante. Warum?

Mourinho: Weil der Fußball für die Fans ist! Im Fußball geht es um Leidenschaft, um mentale Stärke. Dieses Kribbeln, auswärts gegen 70.000 Fans anspielen zu müssen. Das liebe ich einfach. Und das gibt es nur in Hin- und Rückspielen.

Aus Sicht der Außenseiter ist dieses eine K.o.-Spiel besser, da kann in einer Partie alles passieren. Aber ich mag diesen großen Druck, wenn du zum Beispiel ein Champions-League-Halbfinale spielst und drei Tage später in der heimischen Liga in einem anderen Wettbewerb völlig andere Entscheidungen treffen musst. Dann sind wieder andere Spieler gefragt, das Konzept einer Saison wird dadurch getragen.

Selbst mit Fans im Stadion wäre der Modus mit nur einem Spiel nicht gut. Du spielst dann auf neutralem Boden und ein Drittel der Tickets geht an die Sponsoren. An Leute ohne Bezug zu einem der beiden Klubs. Also bleiben vielleicht noch 15.000 Fans von beiden Mannschaften und selbst die müssen gute Beziehungen oder das nötige Geld haben, um an eines der Tickets zu gelangen. Aber so ist der Fußball nicht. Der Fußball ist für die Fans, die nachts im Trikot ihres Klubs ins Bett gehen.