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Fussball

kicker meets DAZN #79 – Sven Mislintat: "Ein echter verpasster Transfer war Niklas Süle"

kicker meets DAZN #79 – Sven Mislintat: "Ein echter verpasster Transfer war Niklas Süle"Getty Images
Sven Mislintat spricht in der aktuellen Ausgabe des KMD-Podcasts über Scouting, Kaderplanung, Führungsspieler und über einen verpassten Mega-Deal.

Für den VfB Stuttgart verläuft die Saison als Aufsteiger gut. Das liegt auch an ihm: Sven Mislintat ist der Architekt dieser Mannschaft. Im Gespräch mit Alex Schlüter und Benni Zander erklärt er im "kicker meets DAZN"-Podcast, vor welchen Herausforderungen er stand, den VfB in der zweiten Liga neu aufzubauen, wie er Spieler scoutet und welcher Superstar ihm in seiner Karriere durchgerutscht ist.

Im Interview bekommt Ihr Einblicke in die Arbeit eines Kaderplaners, über den Werdegang von Sven Mislintat, seine tägliche Arbeit und erfahrt Details über aktuelle und vergangene Transfers, an denen er beteiligt war. Außerdem erzählt Mislintat, wie er zusammen mit Felix Magath das Scouting-Feed erfunden hat und warum seine Töchter sich in der zweiten französischen Liga auskennen.

Zu hören ist diese Folge wie immer auf Abruf überall, wo es Podcasts gibt.

Sven Mislintat über…

… das Modell VfB Stuttgart:

"Schon in den ersten Gesprächen im März 2019 haben wir gemeinsam mit Thomas Hitzlsperger überlegt, wie der VfB Stuttgart aussehen soll und was den Verein auszeichnet. Junge Wilde und das Magische Dreieck konnten dem VfB wieder eine Identität geben, weil das auch der erfolgreiche VfB aus der Historie war. Jung und wild passt zu uns."

… die Identität von Klubs:

"Natürlich gehört auch das Fußballspielen dazu und nicht nur die Arbeit oder böse formuliert „den Bus parken“. Catenaccio war mal erfolgreich, aber ist es in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr. Defensive Arbeit gegen den Ball gehört für uns genauso dazu. Wir haben nicht einen Offensivspieler für die 1. Bundesliga verpflichtet, sondern wir haben Konstantinos Mavropanos, Pascal Stenzel, Gregor Kobel, Wataru Endo, Waldemar Anton und Naouirou Ahamada dazugeholt. Das sind alles defensiv denkende Spieler. Wir haben schon verstanden, wie wichtig es ist, eine defensive Stabilität reinzubekommen, um zum einen Ballbesitzfußball spielen zu können und zum anderen unser Umschaltspiel aufzuziehen. Ich glaube wir sind eine der besseren Mannschaften der Liga im Umschaltspiel. Wir haben extremen Speed."

… die Entwicklung zum heutigen Spielstil:

"Probleme hatten wir in der zweiten Liga, weil wir den Weg gegangen sind, entwicklungsfähige Spieler zu verpflichten, die nicht jede Woche schon ihre Qualität auf den Platz bringen. Das ist auch ein Prozess. Außerdem haben wir uns schon auf die erste Liga ausgerichtet. Sowohl für ausgeglichene Spiele, überlegene Spiele als auch unterlegene Spiele wollten wir vorbereitet sein. Da sind wir ein gewisses Risiko eingegangen, weil die zweite Liga ein komplett anderer Wettbewerb für den VfB Stuttgart ist. Da spielen wir fast nur gegen tiefstehende Formationen, wir haben nur enge Räume und automatisch viel den Ball, brauchen aber absolute Unterschiedsspieler in engen Räumen, die man aber nicht einfach bezahlen kann. Die zweite Liga ist einer der brutalsten und schwierigsten Wettbewerbe, gerade für die großen Klubs. Das war die Krux an der ganzen Sache: Wie bekomme ich schon einen Spielstil und eine Qualität hin, die in der ersten Liga ausreicht, und in der zweiten Liga nicht komplett dem entspricht, was du brauchst, um aufzusteigen, du es aber trotzdem schaffst."

… die finanzielle Belastung eines Abstiegs:

"Kreativität ist immer dann gefragt, wenn gewisse Ressourcen nicht da sind. Die Realität nach dem Abstieg war: Das kostet erst einmal 40 Millionen. Wir haben dann unseren ganzen Defensivverbund verkauft: Timo Baumgartl, Ozan Kabak und Benjamin Pavard. Das Geld konnten wir aber nicht ausgeben, wie wir wollten. Wir haben das in erster Linie dazu genutzt, keine Schulden zu machen. Das zeigt die Problematiken auf, wenn du Absteiger bist."

… die Transferpolitik:

"Daten sind enorm wichtig im Scouting. Ich habe schon früh nach jemandem gesucht, der Modelle und Algorithmen anlegt, damit mir die Daten noch mehr qualitative Aussagen liefern. Beim BVB hatten sie daran damals kein Interesse und so ist es dann dazu gekommen, dass ich mit meinem Partner meine eigene Firma gegründet habe. Neben dem klassischen Rausfahren und Live-Gucken, der qualitativen Videoanalyse, dem persönlichen Gespräch ist das datenbasierte Scouting eine ganz wichtige Perspektive geworden. Ich sag es ganz einfach: Man wäre nicht smart, wenn man das heute nicht nutzen würde. Gerade kleinen Klubs mit wenig Ressourcen hilft das enorm. Diese Art des Scoutings ist allerdings auch nicht die eierlegende Wollmilchsau. Es hilft mir, Namen zu generieren oder Namen zu überprüfen, die ich durch Sichtungen entdeckt habe. Sasa Kalajdzic habe ich zum Beispiel über die Datenanalyse gefunden, weil ich nach einem Stürmer für die zweite Liga mit einem ähnlichen Profil wie Sebastien Haller gesucht habe. Der Namen ist aus Daten entstanden, aber am Ende ist es immer eine 360-Grad-Analyse."

… den Transfer von Silas Wamangituka:

"Die acht Millionen, die wir für Silas gezahlt haben, sind wie die 80 Millionen der Bayern für Lucas Hernandez. Bei Silas war es interessanterweise ein klassisches Scouting. Er ist durch Daten nicht aufgefallen. Ich schaue regelmäßig die zweite Liga in Frankreich. Matteo Guendouzi habe ich zum Beispiel zu Arsenal geholt. Viele der absoluten Topspieler aus Frankreich fangen in der zweiten Liga an. Die Liga ist sehr physisch und sehr interessant. Ich weiß gar nicht, wieso sonst niemand Silas auf dem Zettel hatte. Er hat elf Tore gemacht. Das haut dich jetzt nicht vom Hocker. Da gibt es Jungs, die machen 24, 25 oder 26 Tore in einer Saison. Bei Silas war es aber so, dass die Mannschaft insgesamt nur gut 30 Tore in der Liga gemacht hat. Silas hat quasi jedes dritte Tor erzielt. Silas war eine absolute One-Man-Show, weil die Mannschaft so defensiv gespielt hat. Und dann siehst du seine Waffen, du siehst seinen Körper, du verstehst seine Geschichte, du weißt um sein Potential und dann triffst du ihn und dann sitzt menschlich einfach so eine Voll-Granate vor dir. Und dann ist es auch einfach, dieses Geld in die Hand zu nehmen. Schalke hatte auch Interesse. Glücklicherweise entschied sich Silas für uns. Wenn größere Klubs im Rennen sind, müssen wir bei Transfers Geld mit unserem sportlichen Weg und der Perspektive schlagen."

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… ein Angebot von Jürgen Klopp:

"Als sich Marcin Kaminski bei uns verletzte, kam Klopp auf mich zu und sagte ich solle mir mal Nathaniel Phillips anschauen, weil er eine Leihe für ihn brauchte. Auch wenn Klopp der Eheste ist, dem ich bei so einem Angebot blind vertraue, muss ich natürlich eine Verantwortung tragen und mir das selber anschauen und dem Jungen glaubhaft versichern, dass er bei uns eine echte Chance hat zu spielen. Es hat sich ja dann bewahrheitet, dass Nathaniel genau das für uns war, was wir suchten."

… verpasste Transfers:

"Schade war, dass man bei Kylian Mbappe keinen Zugang gefunden hat, als er ablösefrei war. Da waren viele im Rennen und wir hatten da einfach keine Chance. Im gleichen Zeitraum hatten wir Ousmane Dembele im Fokus. Mbappe damals ablösefrei aus Monaco zu klauen wäre natürlich ein Megadeal gewesen, so wie Ousmane Dembele und Jadon Sancho es damals waren. Ein echter verpasster Transfer war Niklas Süle. Damals hat er in der U17 zusammen mit Marian Sarr in der Innenverteidigung gespielt. Wir haben uns für Marian Sarr und gegen Niklas Süle entschieden."

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… Leadership:

"Ich glaube sehr an Leadership. Barcelona hat in der besten Zeit damals meiner Meinung nach extrem von Carles Puyol und von Xavi profitiert. Xavi hat für mich einen der wunderbarsten Sätze im Fußball gesagt als Messi zum x-ten Mal Weltfußballer wurde. Auf die Frage, wann er denn endlich mal Weltfußballer werde, antwortete Xavi: 'Ich werde nicht Weltfußballer, ich mache Weltfußballer'"

… Führungsspieler:

"Dieser Klassiker: 'Ich kauf mir einen Führungsspieler ein.' Vergiss es. Ein Spieler wird irgendwann zum Führungsspieler, weil es in ihm drin ist. True Leadership ist eine der wenigen Sachen, die du nicht lernen kannst. Und das ist auch nicht immer angenehm. Das können auch mal Arschlöcher sein. Die können dir richtig wehtun, auch der eigenen Truppe und dem eigenen Trainer."

… Kaderzusammenstellung:

"Interessanterweise sind die Künstler oft nicht die Leader: Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi weniger. Bei Real ist es ganz klar Sergio Ramos, der sicherlich viel von Carles Puyol in der spanischen Nationalmannschaft gelernt hat. Bei Bayern ist der Leader Thomas Müller, am Wochenende haben wir das leider selbst zu spüren bekommen. Wie er die Jungs coacht auf dem Platz ist eine Sensation. Das sind wichtige Themen bei der Kaderzusammenstellung. Richtig planen am Reisbrett kann man das nicht. Das ergibt sich auch aus der Gruppe."

… seinen Werdegang:

"Ich war als Kind schon total fußballverrückt und sportbegeistert. Ich habe teilweise sechs Sportarten parallel gespielt. Es war für mich sehr klar, dass ich in diesen trainingswissenschaftlichen Bereich reinwollte. Ich habe, bis ich mit 26 nach dem Sportstudium in der Bundesliga als Fußballanalyst angefangen habe, selbst Mannschaften trainiert. Ich dachte immer, dass ich Trainer werde. Eigentlich wollte ich auch über die Rolle des Analysten in ein Trainerteam zu kommen. Dass es dann in die Managementschiene ging, lag vor allem an meiner Zeit bei Borussia Dortmund."

… die Erfindung des Scouting-Feeds mit Felix Magath:

"Irgendwann mit Felix Magath kamen wir auf die Idee: 'Komm wir filmen jetzt das zehn gegen zehn'. Das aktuelle Scouting-Feed sieht eigentlich noch genauso aus. Bis dahin wurden nur kleinere Ausschnitte gefilmt. In der Firma, für die ich damals gearbeitet habe, hatten wir dann Exklusivrechte, das zu filmen. Für zwölf oder 13 Bundesligateams haben wir das dann gemacht und so habe ich auch die Trainer kennengelernt. Über Michael Zorc ist damals auch der Kontakt zu Borussia Dortmund entstanden."

… das tägliche Scouting:

"Jetzt ist es natürlich so, dass wir Spieler haben, die sich eine brutale Aufmerksamkeit erspielt haben. Da muss ich bereit sein für den Moment, wenn wir einen davon abgeben. Da kann ich natürlich nicht erst anfangen eine Alternative zu suchen, wenn es schon passiert ist. Im besten Fall weiß ich vorher schon, wen ich in petto habe, wenn ich jemanden abgebe. Vor allem, weil wir als VfB Stuttgart auch ein Verkäuferklub sind. Wir sind nicht das Ende der Nahrungskette, aber zum Glück auch nicht der Anfang. Wir wollen nur an die Top-15-Vereine Europas abgeben."

… private Informationen zu Spielern:

"Es ist so vieles öffentlich über die Jungs. Das grast man natürlich ab, aber für mich ist das persönliche Gespräch viel wichtiger: den Jungs in die Augen zu schauen, zu verstehen wie sie sind, den Weg gut zu erklären. Natürlich ist so ein bisschen die Überschrift 'No-Dickheads-Rule'. Das heißt aber nicht, dass sie keine Persönlichkeit haben dürfen. Ganz im Gegenteil: Das sollen sie sogar, das mag ich sehr. Man versucht viel herauszubekommen, aber im gesunden Rahmen."

… die beeindruckendsten Persönlichkeiten im Fußballbusiness:

"Von denen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, ist es Jürgen Klopp. Es war für mich auch etwas Besonderes, zu Arsenal zu gehen wegen Arsene Wenger. Er war für mich die Benchmark, wie man Dortmund weiterentwickeln kann und wenn man ehrlich ist, ist es ja auch genau das, was wir jetzt hier beim VfB Stuttgart machen: aus wenig viel machen, mit gutem Recruitment junge Spieler holen, diese weiterentwickeln und damit auch den Klub weiterentwickeln. Wenn ich mir zwei der großen alten Manager aussuchen dürfte, mit denen ich gerne zusammengearbeitet hätte, dann wäre das Arsene Wenger gewesen, mit dem ich ja ein Jahr das Glück hatte, und ein anderer wäre Sir Alex Ferguson gewesen. Ich bin wahnsinnig geprägt von der Insel. Auch mein Mittagessen mit Carles Puyol war eine coole Nummer."

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