DFB-Direktor Oliver Bierhoff setzt in der kritischen Auseinandersetzung mit dem WM-Gastgeber Katar auf die Zusammenarbeit mit der deutschen Politik. "Vielleicht können der deutsche Fußball und die deutsche Politik auch in dieser wichtigen Frage Hand in Hand agieren, indem wir die Aufmerksamkeit einer Fußball-WM nutzen, um Prozesse in Katar weiter voranzutreiben", sagte der 53-Jährige der Frankfurter Rundschau . Zuletzt war Wirtschaftsminister Robert Habeck für Verhandlungen über eine Energiepartnerschaft nach Katar gereist.
Bei seinen Besuchen im umstrittenen Austragungsland der Fußball-WM in diesem Jahr (21. November bis 18. Dezember) habe er bisher "nur schöne Stadien, Trainingsplätze und Hotels zu sehen bekommen. Ich bin nicht optimistisch, dass wir noch tiefere Einblicke gewährt bekommen", sagte Bierhoff, der in Katar bislang "vornehmlich" mit Verantwortlichen des Weltverbandes FIFA und den Organisatoren gesprochen hat.
Wenig Einblick in Katar
Einen Überblick wie vor den WM-Turnieren 2010 und 2014 konnte er sich daher noch nicht verschaffen. In Südafrika oder Brasilien sei es etwa möglich gewesen, "Townships und Favelas zu besuchen", sagte Bierhoff. Mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen in Katar habe er sich von "Nichtregierungsorganisationen beschreiben lassen, was wir wahrscheinlich nie zu sehen bekommen werden".
SPD-Chef Lars Klingbeil hat klare Erwartungen an den DFB. "Die WM findet statt. Ich finde auch, sie muss mit deutscher Beteiligung stattfinden. Aber sie darf eben nicht im luftleeren Raum stattfinden", sagte er dem SID am Montagabend in Berlin: "Wir müssen auch das Politische, das Soziale und all die Begleitumstände dort thematisieren. Und dies ist das, was ich vom DFB erwarte."
Sportliche Ziele nicht vergessen
Am Rande der Verleihung der Sepp-Herberger-Awards in der Hauptstadt betonte der Politiker, er sei "dankbar", dass der DFB die Menschenrechtslage in Katar "zunehmend aufgreift". Zuletzt hatten die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International vor der Nationalmannschaft Vorträge gehalten. "Das war eine sehr wichtige und ernste Veranstaltung. Ich finde es wichtig, dass man sich mit diesem Thema auseinandersetzt", sagte der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf.
Nach Ansicht der 60-Jährigen könne der Fußball während der WM (21. November bis 18. Dezember) zur Verbesserung der Situation vor Ort beitragen. So sei es wichtig, "diejenigen zu stärken, von denen wir glauben, dass sie für eine Öffnung stehen und für einen liberaleren Kurs", sagte Neuendorf: "Dass man diese Leute in ihren Anliegen unterstützt, ist ein wichtiger Schritt. Sie brauchen diesen Zuspruch. Das ist das, was der Fußball leisten kann im Zuge eines solchen Turniers."
Trotz allem will Bierhoff die sportlichen Ziele nicht aus den Augen verlieren. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns den wichtigen und nötigen politischen Debatten nicht verschließen, aber gleichzeitig auch eine innere Euphorie wecken, die aus dem Team heraus entsteht", sagte Bierhoff vor der Gruppenauslosung am Freitag in der katarischen Hauptstadt Doha.
Lahm und Neuendorf haben keine Wunschgegner
2014er-Weltmeister Philipp Lahm sieht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar im erweiterten Favoritenkreis. "Wenn man gegen die Top-Nationen antritt, wird es irgendwann natürlich enger. Vor allem wenn es dann ans Viertelfinale, Halbfinale, Finale geht, ist es immer eng und man kann das schwer vorhersagen. Aber wir sind immer Mitfavorit", sagte Lahm am Montagabend in Berlin.
Vor der Auslosung am Freitag (17.55 Uhr/ARD) in Doha wollte der frühere DFB-Kapitän keine Wunschgegner benennen und erinnerte an die EM 2012 in Polen und der Ukraine. "In einer sehr schwierigen Gruppe mit Holland, Portugal und Dänemark sind wir durchmarschiert mit neun Punkten. Das hat dann nicht zum Titel gereicht", so Lahm: "Die Vorbereitung auf so ein Turnier ist enorm wichtig, damit eine Mannschaft sich einspielen kann und einander vertraut."
Auch DFB-Präsident Neuendorf tat sich mit Wunschlosen schwer. "Heutzutage noch von leichten oder machbaren Gegnern zu sprechen, ist wirklich schwierig. Es ist ein sehr ausgeglichenes Feld", sagte Neuendorf: "Auch die Kanadier, die sich jetzt qualifiziert haben, habe ich schon gesehen. Da findet überall eine Riesenentwicklung statt. Ich freue mich über jeden Gegner und gucke mal, was das für uns bringt."