KOLUMNE
Ich kann mich noch gut an den 18. November 2019 erinnern. Es war der Tag des Amtsantritts von Markus Gisdol als Nachfolger von Achim Beierlorzer. Der 1. FC Köln hatte gerade einmal sieben Punkte aus den ersten elf Bundesligaspielen geholt, galt hier und da schon als sicherer Absteiger.
Ich weiß noch, dass selbst der sonst eher nüchterne kicker schwarzgemalt hat. In einem meinungsstarken Artikel hieß es nach Markus' Verpflichtung, beim Effzeh regiere das pure Prinzip Hoffnung, die blanke Panik. In der Öffentlichkeit hat Markus kaum einer zugetraut, in Köln erfolgreich zu sein. Und wenn ich ehrlich bin: Die Bedenken waren teilweise nachvollziehbar. Markus stand nun mal für eine Art von Fußball, die auf langen Bälle und Gegenpressing basiert. Der Kölner Kader allerdings war genau auf das Gegenteil ausgerichtet.
FC-Spieler gehen für Markus Gisdol durchs Feuer
Markus hat relativ schnell und ohne Rücksicht auf Verluste erkannt: Wenn ich mit diesem Kader den Fußball spiele, den ich spielen will, wird es nicht funktionieren. Also hat er schnellen und lauf- sowie kampfstarken Youngsters wie Ismail Jacobs, Noah Kettenbach oder Jan Thielmann eine Chance gegeben. Sein erster ebenso cleverer wie mutiger Schachzug, der aufging. Anschließend hat Markus – auch durch unglaublich viele Einzelgespräche - eine leistungsfördernde Atmosphäre geschaffen. Die Spieler gingen und gehen für ihn durchs Feuer.
Ich kenne Markus Gisdol bereits seit vielen Jahren, insbesondere aus unserer gemeinsamen Zeit bei der TSG Hoffenheim – und ich kenne nur wenige Personen, die einen so guten ersten Eindruck hinterlassen wie er. Markus ist in seinen Gedanken sehr klar, strahlt eine ungeheure Ruhe aus. Er weiß genau, was er will und hat auch die Geduld, auf den richtigen Moment zu warten wie auf das Angebot aus Köln.
Markus hatte in Hoffenheim riesigen Erfolg, als er 2013 mit einer bereits totgesagten Mannschaft die Klasse gehalten hat. Dasselbe schaffte er 2017 mit dem HSV. Kurzum: Markus hatte bei seinen Vereinen in der Anfangszeit immer einen brutalen Impact. Deshalb ist er die ideale Lösung, wenn es brennt.
Im Jahr 2016 hat Markus bei Atletico Madrid unter Diego Simeone hospitiert, dessen Fußball ihm schon immer sehr gut gefallen hat. Er hat vor Ort beobachten können, über welche Trainingsinhalte Simeone seine Spielidee und Mentalität vermittelt und sich davon einiges in seinem Notizbuch notiert. In dieser Zeit ohne Engagement hat Markus übrigens nicht nur viel Zeit in die Entwicklung seines Fußballs investiert, sondern auch sehr großen Wert auf eine persönliche Weiterentwicklung bei den Themen Leadership und Kommunikation gelegt.
Nun kann man Köln nicht wirklich mit Atletico vergleichen, man erkennt aber einzelne Elemente des Atletico-Spiels in Markus' Kölner Mannschaft wieder. Simeone etwa trainiert unglaublich detailverliebt, seine Einheiten sind von einer extrem hohen Intensität geprägt. Das mag im ersten Moment nicht allzu besonders klingen; es ist aber eine Tatsache, dass es bei fast allen Mannschaften auch mal lasche Einheiten gibt, bei denen wenig bis nichts herumkommt. Simeone und Gisdol zählen dahingehend zu den wenigen Ausnahmen. Markus lässt beispielsweise lieber eine halbe Stunde kürzer trainieren, dafür aber mit sehr großem Zug und viel Spannung.
Mark Uth spielt unter Markus Gisdol grundlegend anders
Eine weitere Parallele zwischen Markus Gisdol und Diego Simeone ist die Bedeutung des zweiten Balls. Für Markus ist der zweite Ball der wichtigste; das vermittelt er seinen Spielern und so kreiert er beim Gegner Panik und Unsicherheit. Das haben wir mit Fortuna Düsseldorf vor einer Woche zu unserem Leidwesen feststellen müssen.
Selbiges gilt für Standardsituation, in die Markus viel Arbeit investiert. Inzwischen sind die Kölner bei Eckbällen und Freistößen sehr gut organisiert und brutal gefährlich. Die physische Präsenz im gegnerischen Strafraum ist noch eine Gemeinsamkeit zwischen Markus und Simeone. Sebastian Bornauw, Toni Leistner, Jhon Cordoba, Anthony Modeste und Simon Terrodde sind allesamt abartig kopfballstarke Physismonster. Dank Markus können sie ihre Stärken jetzt noch besser ausspielen.
Noch eine Ähnlichkeit: Das Spiel mit einem wuchtigen Stürmer wie Diego Costa beziehungsweise Cordoba als Zielspieler und einer wuseligen, beweglichen hängenden Spitze wie Mark Uth beziehungsweise Joao Felix oder Angel Correa.
Was für ein guter Trainer Markus ist, spiegelt sich übrigens auch in Mark Uth wider, den wir 2015 aus Heerenveen nach Hoffenheim geholt haben. Mark ist ein Spielertyp, der immer den Abschluss sucht und vor dem Tor eine intuitive Qualität hat. Mark hatte aber bei einigen seiner früheren Stationen dasselbe Problem wie die meisten Top-Stürmer: das defensive Umschaltverhalten. Man hat immer gemerkt, dass ihm die Arbeit gegen den Ball nicht so viel Spaß macht wie das Toreschießen. Vorsichtig formuliert.
Unter Gisdol hat Mark seine Art und Weise, wie er nach hinten arbeitet, grundlegend geändert. Damit hat Markus bei Hoffenheim als auch in Köln etwas geschafft, das keinem anderen Trainer gelungen war. Der Kölner Mark Uth ist für mich der beste Mark Uth, den ich je gesehen habe.
Hinzu kommt, dass sich Markus in Köln neu erfunden und seinen Fußball verändert hat. Sofern seine Mannschaft nicht in Rückstand ist, werden kaum noch lange Bälle gespielt. Stattdessen legt er viel Wert auf einen geplanten, strukturierten Spielaufbau. Die Basis jedoch ist – wie bei Simeone - weiterhin das gut organisierte und aggressive Spiel gegen den Ball.
Rosige Zukunft für Markus Gisdol und den FC?
Der 1. FC Köln steht heute mit 34 Punkten auf dem elften Tabellenplatz. Ich sagte ja, dass Markus die ideale Lösung ist, wenn es brennt. Nur muss ich mich hier vielleicht schon bald korrigieren, denn ich bin davon überzeugt, dass Markus das Potenzial hat, das häufig bemühte Image des Feuerwehrmanns abzulegen und in Köln etwas aufzubauen. Apropos Feuerwehrmann: Sowohl bei 1899 mit Platz neun und acht nach der Rettung als auch beim HSV mit dem siebten Rang in der Rückrundentabelle hat Markus bereits bewiesen, auch langfristige Entwicklungen vorantreiben zu können. In Hamburg fehlte ihm allerdings die Unterstützung für Kaderveränderungen, aber das ist ein anderes Thema.
Bornauw ist in meinen Augen einer der am meisten unterschätzten Spieler überhaupt. Er hat zuletzt einen enormen Sprung gemacht, ist ein überragender Typ. Sein Marktwert wird explodieren. Dazu haben die Kölner viele spannende Kicker wie Kingsley Ehizibue. Wenn er wüsste, wie schnell er eigentlich ist, wäre er schon europäische Spitze. Auch wenn die Düsseldorfer Fans das vermutlich nicht gerne hören: Sofern die Kölner Uth fest verpflichten und ihre Mannschaft weitgehend zusammenhalten können, kann dort mit Markus Gisdol etwas sehr Spannendes entstehen.