Großes Glück und schweres Pech liegen im Leben eines Profifußballers manchmal ganz eng beieinander. Das musste auch BVB-Neuzugang Donyell Malen trotz seiner erst 22 Jahre schon schmerzlich erleben. Im September 2019 schrieb er sich noch in die Geschichtsbücher des niederländischen Fußballs, als er im Heimspiel gegen Vitesse Arnheim fünf Tore für PSV Eindhoven schoss.
Er ist erst der dritte Spieler, dem in der Eredivisie ein Fünferpack gelungen ist und der erste seit 55 Jahren. Als wäre das nicht Höhenflug genug, hat der junge Stürmer wenige Tage zuvor seinen Einstand in der niederländischen Nationalmannschaft gegeben und auswärts gegen Deutschland direkt getroffen.
Malen war in aller Munde, traf auch nach seinem Fünferpack regelmäßig, eine Teilnahme an der bevorstehenden Europameisterschaft war fest eingeplant. Doch drei Monate nach seinem historischen Kunststück verletzte er sich im Spiel gegen Feyenoord nach 52 Minuten schwer am Knie, musste operiert werden und fiel acht Monate lang aus.
Die Rehabilitation im Lockdown
Wenn man so töricht sein mag, um von einem "guten Timing" für eine karrieregefährdende Verletzung zu sprechen, dann in diesem Fall. Denn abermals drei Monate später legte die Coronapandemie den Sportbetrieb ohnehin auf der ganzen Welt lahm. Im Gegensatz zu anderen großen Ligen wurde die Eredivisie nach ihrem Abbruch Anfang März auch nicht mehr fortgesetzt, die EURO 2020 verschoben. Und Malen konnte sich ohne äußeren und inneren Druck auf seine Rehabilitation konzentrieren. Und eindrucksvoll zurückkehren.
Eine torreiche Saison mit PSV und eine persönlich ordentliche Europameisterschaft mit der Elftal öffnete ihm die Tür zum BVB. Mit seiner physischen und auf Tempo und Dribbelstärke ausgelegten Spielart soll er einen Teil der Tore und Assists auffangen, für die der abgewanderte Jadon Sancho jahrelang bei Schwarz-Gelb verantwortlich zeichnete. Es ist der nächste Schritt in der ausgefeilten und wohlüberlegten Karriere des 22-Jährigen, die mit drei Jahren die allerersten Züge nahm.
So zumindest schildert es Malen selbst im Vorstellungsinterview mit BVB-Allrounder Patrick Owomoyela. In scheuem, aber sicherem Englisch erzählt er, wie seine Oma ihn erstmals mit dem Leder vertraut gemacht hat: "Sie hat mir den Ball zugespielt, dann sollte ich ihn stoppen und zurückpassen. Das haben wir stundenlang gemacht." So wurden Leidenschaft und Talent fürs Fußballspiel gesät.
Geboren und aufgewachsen direkt am Wattenmeer im winzigen nordniederländischen Örtchen Wieringen, ging Malen, geprägt von den Trainingseinheiten mit seiner Oma, mit vier Jahren zum örtlichen Fußballverein. Mit fünf schloss er sich HVV Hollandia an. "Ronaldinho war mein Lieblingsspieler", erinnert sich der Sohn einer niederländischen Taxifahrerin und eines surinamischen Fußballprofis in der niederländischen Tageszeitung AD an seine Kindheit, "mein Schlafzimmer hing voll mit Postern von ihm und ich ahmte alle seine Tricks nach. Wer ist der Ronaldinho von heute? Es gibt keinen."
Das perfekte Ajax-Talent
Ein paar Jahre später griffen die Zahnräder des ausgeklügelten niederländischen Scoutingsystems ineinander und der trickreiche und wendige kleine Junge wurde in der Jugendakademie von Ajax Amsterdam aufgenommen. "Donyell kam mit elf Jahren zu uns und war technisch schon sehr weit, hatte einen sehr guten ersten Kontakt", erinnert sich sein U15-Coach Marco van Galen gegenüber DAZN. Den größten Unterschied auf dem Feld machte aber ein anderer Faktor: "Er war ein Spieler mit enormer Geschwindigkeit. Schon mit elf hat er so jede Menge Tore geschossen."
Bei Ajax lernte er, diese Geschwindigkeit gezielt und effektiv einzusetzen. Er lernte, "sich selbst Raum zu verschaffen", schildert van Galen. Damit er wusste, wohin mit seinem Speed. Stück für Stück verinnerlichte Malen die Ajax-Schule, mit Dennis Bergkamp hatte er zweitweise einen Lehrer mit Legendenstatus. In einem Ausnahmejahrgang mit Ausnahmekönnern wie Matthijs de Ligt oder Justin Kluivert entwickelte er sich Stück für Stück zu einem ausgezeichneten Jugendspieler weiter, der mit seiner Torgefährlichkeit und seinem Tempo den Unterschied machte.
Neben dem Feld fiel Malen vor allem mit seiner Reife auf. "Er war für sein Alter schon sehr weit. Schon als Kind war er eine Persönlichkeit", so van Galen. Der U-Nationalspieler wurde früh erwachsen, war aufgeweckt, smart und wissbegierig. Kein Lautsprecher, aber sozial integriert und ein fester, wichtiger Teil der Gruppe. "Jugendspieler mit so stark ausgeprägten mentalen Fähigkeiten haben einen Vorteil gegenüber ihren Mitstreitern", erklärt van Galen.
Der erste plötzliche Abschied
Der Weg schien vorgezeichnet: Malen als perfektes Ajax-Talent, das den Voetbal Totaal eingesaugt und verinnerlicht hat, Klub-Identität, irgendwann das Debüt bei den Profis als Nachwuchsspieler, die ersten Tore, häufigere Einsätze, gemeinsam wachsen mit de Ligt, Kluivert, Frenkie de Jong, Kasper Dolberg oder Donnie van de Beek, die 2019 mit Ajax im Halbfinale der Champions League standen. Doch es kam anders.
Malen hatte seine eigene Idee von der Karriere. Und stieß sämtlichen Ajax-Verantwortlichen, die fünf Jahre lang viel Arbeit und Fleiß in seine Ausbildung gesteckt hatten, vor den Kopf, als er sich von Arsenal-Mastermind Arsene Wenger persönlich bei einem gemeinsamen Mittagessen davon überzeugen ließ, sich dem FC Arsenal anzuschließen. Der Schritt ins Ausland, mit gerade mal 16 Jahren als halbfertiger Fußballspieler.
"Wir waren enttäuscht, weil jeder viel Mühe in ihn gesteckt hat", sagt Brian Tevreden, ein weiterer Jugendcoach in Amsterdam, zu football.london über den Wechsel, "aber es war seine Entscheidung und ich bin ihm nicht böse." "Zu der Zeit dachten wir nicht, dass er Ajax verlassen würde. Das kam plötzlich", erinnert sich auch van Galen, der nicht konkret wird, aber zumindest andeutet: "Spieler müssen ihre eigenen Entscheidungen treffen. Du weißt aber auch nie, welche Rolle die Familie oder Agenten spielen." Malen arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon mit Star-Berater Mino Raiola zusammen.
So unerwartet wie unvorhersehbar Malens Abschied aus Amsterdam kam, so sehr bestätigte sich der junge Niederländer selbst in seiner mutigen Entscheidung. Mit guten Leistungen und vielen Toren in Arsenals Nachwuchsmannschaften sorgte er weiter für Aufsehen und weckte große Hoffnungen. Mit U23-Trainer Thierry Henry nahm ihn die nächste Stürmerlegende unter seine Fittiche. 2017 durfte er mit Wenger und dem Profiteam im Zuge der Saisonvorbereitung mit auf Asientour. Der Kontakt zur Ersten Mannschaft war hergestellt, ein Premiere-League-Debüt spürbar. Doch Geschichte wiederholte sich.
Die nächste richtige Entscheidung
Malen wechselte noch vor Saisonstart nach Eindhoven. Erneut zeigte der damals 18-Jährige die Überzeugung, dass er genau wusste, was das Beste für die eigene Karriere und Entwicklung war. Auch wenn er seinen Machern damit zum zweiten Mal die lange Nase zeigte. Der PSV war es recht, die freute sich über ein aufregendes Schnäppchen für 600.000 Euro.
Malen entschied sich für Spielzeit in der Heimat, statt Warten auf den Premier-League-Traum. Es sprach für seine Intelligenz und seine Voraussicht, die schon in jungen Jahren feste Bestandteile seiner Persönlichkeit waren. "Am Ende hat er immer die richtige Entscheidung getroffen", hat auch van Galen den Weg seines ehemaligen Schützlings längst akzeptiert, auch wenn naturgemäß immer ein Hauch Wehleidigkeit mit einhergeht.
Seine erste Saison in Eindhoven verbringt Malen noch hauptsächlich bei der Zweiten Mannschaft, spätestens im Sommer 2018 kommt Profitrainer Mark van Bommel aber nicht mehr an diesem außergewöhnlichen Talent vorbei. Malen erweist sich als zuverlässiger Torschütze und Vorlagengeber, PSV wird Vizemeister, Malen mit seiner attraktiven und mitreißenden Art, Fußball zu spielen, zum Publikumsliebling.
Quelle: Getty Images
In seiner letzten Saison für Eindhoven ist der 1,79 Meter große Stürmer Eindhovens bester und wichtigster Spieler und Top-Scorer, manchmal sogar Mannschaftskapitän. Noch einmal wird PSV Vizemeister. Sein EM-Ticket hat Malen sicher, in der Vorrunde liefert er auch ab, das krachende Aus im Achtelfinale gegen Außenseiter Tschechien kann er aber auch nicht verhindern, obwohl er die hundertprozentige Chance zur Führung hat. So wird auch er in der Heimat zum Gesicht des überraschenden Scheiterns einer starken niederländischen EM-Mannschaft.
Nichtsdestotrotz investierte Borussia Dortmund 30 Millionen Euro für Malen. Mit Marco Rose hat er einen Trainer, der aufgrund seiner Vergangenheit in Salzburg und damit im System von Red Bull einen ähnlichen Fußball spielen lässt wie Roger Schmidt, der im letzten Jahr Trainer in Eindhoven war. Ein Jahr, in dem Malen wettbewerbsübergreifend 27 Tore und zehn Vorlagen lieferte.
Das große Versprechen
In Eindhoven spielte Malen als Teil einer Doppelspitze. Eine Position, die auch in Dortmund neben Erling Haaland denkbar ist. Aber auch auf den Außenpositionen kann Malen mit seinen tiefen Läufen und seinen Tempovorteilen Einfluss nehmen. Trotzdem sollten Fans und Beobachter aufgrund der Umgewöhnung vorsichtig mit ihren Prognosen sein. Trainer Rose gibt ihm die Zeit, attestierte vor Saisonstart aber auch offen körperliche und taktische Defizite.
"Gebt ihm rund sechs Monate, dann sehen sie in Dortmund den echten und starken Donyell Malen", sagt van Galen dazu. Bislang hat Malen auf all seinen Stationen bewiesen, dass er sich stetig weiterentwickelt, persönlich wie sportlich. Sein mit Kalkül und Verstand durchdachter Weg lässt nicht darauf deuten, als dass sich das beim BVB ändern wird.