Mit dem SC Freiburg durch Europa! Der Sport-Club aus dem Breisgau hat sich zum zweiten Mal in Folge mindestens für die Europa League qualifiziert, selbst der Traum von der Champions League lebt als Fünftplatzierter noch. Einen großen Anteil an der Erfolgsstory des SC hat Vincenzo Grifo. Der Standardexperte blüht als einziger Freigeist im System von Christian Streich auf und zahlt das Vertrauen in ihn mit jeder Menge Toren und Vorlagen zurück.
Vor dem Bundesligaduell mit dem VfL Wolfsburg am vorletzten Spieltag am Freitagabend hat sich Grifo Zeit genommen, um in der neuesten Episode UNFILTERED mit DAZN auf die Anfänge seiner Karriere zu blicken: vom Bolzplatz in Pforzheim über ein überraschendes Bundesligadebüt bei der TSG Hoffenheim und Einsamkeit bei Dynamo Dresden bis zum Nachhausekommen beim SC Freiburg.
Grifo erinnert sich dabei an tagelange Autofahrten mit seiner Familie nach Italien, spricht über seine taktischen Defizite, über seine erste Begegnung mit Christian Streich und warum es mit Julian Nagelsmann Probleme gab.
Vincenzo Grifo über …
… seine Kindheit in Pforzheim
"Meine Kindheit war sehr schön, meinen Brüdern und mir hat nichts gefehlt. Wir hatten reichlich zu essen und ein Dach über dem Kopf, alles, was man sich als Kind wünschen kann, sogar eine Playstation, was viele andere nicht hatten. Dafür haben meine Eltern gearbeitet und gesorgt. Ich war der "kleine Freak", weil ich immer auf dem gleichen Bolzplatz war. Ich hatte immer nur eins im Kopf: Schule, Hausaufgaben, danach kicken. Meine Eltern wussten immer, wo sie ihre Söhne finden konnten. Ich bin jetzt selbst Papa und könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als dass es meinen Kindern gut geht, dort, wo sie sind. Und der Bolzplatz ist ein sicherer Ort."
… Sizilien und Lecce und Italien
"Das sind die Orte, wo ich meine Urlaube verbracht habe. Von Pforzheim aus waren wir 24 Stunden oder mehr zu dritt auf der Rückbank im Opel Astra mit der 1,6-Liter-Maschine nach Sizilien unterwegs. Panini mit Mortadella hat Mama vorne gemacht, Espresso an der Tanke. Nach zehn Tagen Sizilien ging es weiter runter nach Lecce. So haben wir unsere drei Wochen Urlaub verbracht. Sonne, Strand, Meer, neue Freunde, Familie, Pizza, Pasta, Grillen, kurze Hose, Karten spielen, Kirmes. Das waren unglaublich schöne Momente. Aber die Fahrten waren schon legendär. Hinten hat man sich dann mal nach zwölf Stunden gezofft, weil der eine zu weit nach rechts geschlafen hat, und der mit seinen Füßen genervt hat und mach doch mal das Fenster auf und so weiter."
… seine Nationalität
"In Italien war ich immer der Deutsche. Und hier war ich der Italiener. Im Endeffekt war ich immer der Ausländer, egal wo ich war (lacht). Wenn ich kicken gegangen bin, haben die Italiener gesagt, ich nehme den Deutschen. Ich habe dann immer gesagt, dass ich nur einen italienischen Pass habe. Auch wenn ich beide Sprachen spreche, mein Herz schlägt für Italien. Aber dennoch bin ich unheimlich stolz darauf, in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen zu sein. Ich weiß, wie das Leben in Italien sein kann und wie es arbeitstechnisch dort aussieht. In Deutschland ist alles gegeben, du musst nur wollen. In Italien wollen viele, aber können nicht. Ich habe oft mit meinen Eltern drüber gesprochen: Warum seid ihr nach Deutschland gegangen? Im Endeffekt wegen der Arbeit. Ich fühle mich deswegen auch ein Stück weit deutsch, auch wenn zu Hause Italienisch gesprochen, gegessen, gestikuliert und geflucht wird."
… seinen deutschen und italienischen Einfluss
"Ich habe vieles in Deutschland gelernt, was ich in Italien verpasst hätte. Es ist viel geregelt, es wird auf viel geachtet, Pünktlichkeit, Disziplin, wenn man was sagt, wird es getan. In Italien ist mehr Larifari, was ich nicht morgen mache, mache ich übermorgen oder in drei Tagen oder vielleicht auch gar nicht. Deswegen habe ich sowohl von der deutschen als auch von der italienischen Art viel mitgenommen."
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… seinen Schuss
"Ich habe Schießen schon von klein auf gemocht. Ich wollte immer schießen, immer auf die Kiste. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: Dass man auf den Bolzplatz geht und direkt anfängt zu schießen. Heute muss man sich erst aufwärmen und vorbereiten. Früher war das gang und gäbe: Man ging auf den Bolzplatz und das Erste, was man machte, ist volle Pulle schießen. Das hat dazu beigetragen, dass ich heute diese Schusstechnik habe."
… seine Sympathien für Inter Mailand
"Wir waren in Sizilien und mein Opa hat mir einen Roberto-Baggio-Pullover geschenkt. So wurde ich Inter-Fan. Baggio hatte eine komische Frisur mit seinem Zopf, hatte die Nummer Zehn und war Zehner, also gefiel auch mir die Zehn und ich wollte Zehner werden. Das fing klein an und hörte groß auf. Ich war fünf oder sechs Jahre alt."
… seine Jugend bei den Amateurvereinen VfR Pforzheim und Germania Brötzingen
"Der Glaube, Fußballprofi zu werden, war immer da. Egal, ob ich beim VfR Pforzheim oder bei Germania Brötzingen war. Ich hatte in der D-, C- und B-Jugend Angebote vom KSC. Aber ich hatte Angst, meine Freunde im Stich zu lassen und mein Umfeld zu verlassen. In der A-Jugend habe ich dann nochmal einen Entwicklungsschritt gemacht. Ich habe mich mit meiner Familie zusammengesetzt und wir haben gesagt: Wenn ich nicht in der A-Jugend zu einem Profiverein wechsle, dann nie. Also haben wir den Schritt gewagt und ich bin zum KSC gewechselt."
… seinen Wechsel zum KSC
"Natürlich hatte ich Zweifel, aber ich hatte keine Furcht. Irgendwie habe ich mich da durchgesetzt und das hat mir das gute Gefühl gegeben, dass ich nicht so weit entfernt bin, auch wenn ich in Pforzheim gelernt habe. Es war ein riskanter Schachzug, in der A-Jungend nochmal zu wechseln. Aber es war der beste, den ich machen konnte. So konnte ich meine ganze Jugend befreit aufspielen, ohne dass mir ein Trainer gesagt hat, den Ball nicht mit der Sohle anzunehmen oder den oder den Trick nicht zu machen. Der Trainer hat mich so spielen lassen, wie ich es wollte."
… seine fußballerische Ausbildung
"Im taktischen Bereich war ich von allen 25 Spielern der schlechteste. Wegen meiner fußballerischen Intelligenz und meinem Spielverständnis hat mir das aber jeder verziehen. Mir wurde nie beigebracht, im Bogen anzulaufen, im Zwischenraum zu stehen, Vororientierung. Da waren die Jungs deutlich weiter als ich. Dafür waren sie in der Ballführung, im Abschluss und Dribbling nicht so gut wie ich. Das hat mir einen großen Vorteil verschafft."
… seinen Wechsel nach Hoffenheim
"Ich hatte zwei, drei gute Angebote, auch von italienischen Mannschaften. Ich bin nach Italien geflogen und habe mir den einen oder anderen Klub angesehen. Aber ich war ein Heimscheißer. Ich wollte nicht von zu Hause weg. Dann bin ich allein dort, wer unterstützt mich, ich brauche meine Familie. Deswegen habe ich mich von allen Angeboten, die ich hatte, für die nicht beste Variante entschieden, die sich doch als beste entpuppt hat mit Hoffenheim II. Letztendlich habe ich acht Wochen später mein Bundesligadebüt gegeben."
… sein Bundesligadebüt
"Alles hat angefangen in einer Länderspielpause, ich war bei den Profis, weil viele gefehlt haben. Ich durfte mit zu einem Testspiel nach Darmstadt. Mein Trikot war schon beflockt, das war ein gutes Zeichen. Ich habe von Anfang an gespielt, in der 10. Minute Joselu ein Tor aufgelegt und hatte ein richtig gutes Spiel. Ich durfte die Woche bei den Profis trainieren. Dann kam die Kaderliste für das Bundesligaspiel gegen Greuther Fürth und ich war dabei. Nummer 32. Ich bin ohne gepackte Sachen mit ins Hotel, Ladekabel, Schlafshirt, alles hat gefehlt. Die ganze Familie war im Stadion. In der 69. Minute kam ich rein. Drei Minuten später gab es Freistoß. Ich bin zu Kevin Volland und Sebastian Rudy, selbst Sejad Salihovic war noch da, und hab gesagt, ich will den Freistoß schießen. Die haben mich angeguckt: Hä, was ist mit dir los? Doch sie haben mich schießen lassen, wahnsinnig von denen. An den Pfosten. Das ganze Stadion schrie. Da bin ich angekommen. Das war wie im Film. Danach schoss medial alles durch die Decke. Woher kommt der? Was, der war vor einem Jahr noch in Pforzheim? Wie, der war nie in einem Nachwuchsleistungszentrum? Daran werde ich mich noch erinnern, wenn ich 60 oder noch älter bin."
… seine Zeit in Dresden
"Ich hatte in meiner ersten Profisaison vier Trainer. Es war sehr unruhig. Ich konnte nicht richtig Fuß fassen in Hoffenheim. Ich habe mich nach Dresden ausleihen lassen. Ich durfte alle 17 Spiele machen und hatte Spielpraxis, aber leider sind wir abgestiegen. Meistens hat es bei mir nicht gut funktioniert, wenn ich weit weg von der Familie war, das muss irgendwas heißen. Mir ging es sehr beschissen. Ich war allein. Meine Freundin, jetzt Frau, hat auch nicht bei mir gewohnt. Sieben Stunden nach Dresden ist kein Fingerschnippen. Ich hatte vor Ort niemanden, an den ich mich halten konnte. Auch die Mannschaft war nicht so gebunden, wie es sein sollte. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt und auch nicht den Fußball gespielt, den ich zeigen sollte und konnte. Eine Woche vor dem Ende habe ich schon meine Sachen gepackt und wusste, dass ich nicht in Dresden bleiben würde."
… seine anschließende Zeit beim FSV Frankfurt
"Es war eine geile, eingeschworene Truppe, die nicht die größte Qualität hatte, aber wir waren eine Einheit. Da habe ich mich unglaublich wohlgefühlt. Die Saison lief gut. Ich habe Tore und Vorlagen geliefert und ein paar Bundesligisten sind aufmerksam geworden. Ich habe dem FSV unheimlich viel zu verdanken. Nach dem Dresden-Jahr und dem Leistungsabfall und dem Verlust meines Selbstvertrauens wüsste ich nicht, wo ich stünde, wäre es in Frankfurt auch bergab gegangen. In Frankfurt habe ich mich wieder hochgekämpft."
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… die Entscheidung, zum SC Freiburg zu gehen
"Ich hatte nicht nur Freiburg auf dem Tisch, sondern auch ein paar andere Bundesligisten. Ich hatte ein Gespräch mit Christian Streich, der etwas nervös und aufgeregt war, weil Freiburg im Abstiegsjahr steckte. Aber er war total sympathisch. So ein Gespräch hatte ich selten mit einem Trainer. Es war später Abend, ich bin von Frankfurt nach Freiburg gefahren, es lagen Brötchen auf dem Tisch. Dann hat er in seinem Dialekt gesagt: Hast du schon was gegessen? Darfst ruhig essen, kannst auch erst essen, dann reden wir, damit du auch Kraft hast. Er hat sich total um mich gesorgt. Ich bin mit einem Lächeln aus dem Zimmer. Und fachlich war es mit das beste Gespräch, was ich mit einem Trainer führen kann. Das alles hat mich so positiv überrascht, dass ich gar nicht mehr nachgedacht habe, ob Freiburg jetzt erste oder zweite Liga spielt. Sie sind dann abgestiegen und ich bin trotzdem hingegangen. Ich hätte in die Bundesliga wechseln und mehr Geld verdienen können. Doch mein Herz, meine Familie und meine Berater haben alle gesagt, dass Freiburg die bessere Entscheidung ist. Und dann gibt es noch den Lieben Gott, der mich belohnt hat. Ein Jahr später hatte ich 31 Scorerpunkte, war Zweitligameister und mit Emil Forsberg Spieler der Saison. Besser hätte es nicht laufen können."
… seinen Wechsel nach Gladbach
"In Gladbach war alles größer. Dort ist jeder zur Arbeit, hat sein Ding gemacht, und dann wieder ab nach Hause zur Familie. Da habe ich mich am Anfang noch nicht so zurechtgefunden. Im Endeffekt kann man sagen, schade, warum bist du nicht in Freiburg geblieben. Hättest du in Freiburg in zwei Jahren nochmal 70 Spiele gesammelt und einige Tore und Vorlagen. Aber in Gladbach habe ich gelernt, bin reifer, sachlicher geworden. Deswegen war es nicht der falsche Schritt. Ich hätte es bereut, hätte ich ihn nicht gemacht. Ich wollte bei einem großen Klub spielen. Deswegen war es nicht falsch."
… seinen Wechsel zurück nach Hoffenheim
"Hoffenheim hat in dem Jahr Champions League gespielt. Und es war wieder sehr nah an meiner Heimat. Ich hatte mit Julian Nagelsmann gute Gespräche. Aber auch das Problem, dass die Mannschaft unheimlich gut eingespielt war. Klar hätte ich mir die eine oder andere Chance mehr gewünscht. Aber das ist die Spielersicht. Ich kann auch die des Trainers verstehen und habe es sportlich genommen. Dann hat mir mein Herz irgendwann wieder gesagt, egal was kommt, egal welcher Klub anfragt, und wenn es ManCity ist, was vielleicht gelogen ist, aber ich möchte zurück nach Freiburg."
… Julian Nagelsmann
"Mit ihm hat es eher weniger funktioniert. Ich bin eher der kreative Freigeist. Und Julian hatte seine Idee, die top war, der Erfolg hat ja für Hoffenheim gesprochen. Aber ich war dann eher der Typ, der sich zum Beispiel nicht im richtigen Moment aufgedreht hat und das waren Kleinigkeiten, die ihn gestört haben. Da haben andere Spieler besser das umgesetzt, was er sich wünscht. Aber das heißt ja nicht, dass er etwas gegen mich hat. Er hat einfach den Erfolg in den Vordergrund gestellt. Ich bin ihm null böse. Es gibt Menschen, die passen zusammen. Und welche, die passen nicht zusammen."
… seine Arbeit mit Christian Streich
"Man glaubt, dass Freigeister nicht zu Christian Streich passen. Aber er ist so intelligent zu erkennen, wie er einen Spieler anzupacken hat. Wenn es elf von elf machen, hast du einen wilden Hühnerhaufen, der durch die Bundesliga gurkt und bei dem nichts zusammenpasst. Aber es gibt immer eine Person, die ein bisschen mehr Luft bekommt vom Trainer. Dieses Gefühl hat er mir immer gegeben. Er hat gemerkt, dass ich so am besten funktioniere. Deswegen glaube ich schon, dass ich gut zu ihm passe. Weil ich manchmal auch jemanden brauche, der mich in die richtige Spur bringt. Er weiß immer, wann er mich bremsen muss."
… seinen schwierigsten Moment mit Christian Streich
"Vor allem die Anfangszeit war schwer mit ihm. Jeden dritten Tag habe ich Videoanalysen mit ihm allein gemacht, da habe ich mich gefragt, wie soll ich das ein Jahr lang durchhalten. Jetzt sage ich, Gott sei Dank hat er das mit mir gemacht, denn er hat ja gemerkt, dass ich taktisch noch nicht auf dem Weg bin wie der eine oder andere. Und er hat es nur gut gemeint. Er beschäftigt sich mit einem Spieler, das macht manch anderer Trainer nicht so intensiv, lässt dich dafür links liegen und du sitzt auf der Bank ohne Erklärung. Unser Coach erklärt es und dann liegt es an dir, das anzunehmen."
… das EL-Achtelfinale gegen Juventus Turin
"Natürlich hat es mir nicht gefallen, dass ich gegen Juve nicht spielen durfte. Das war ein schwieriger Moment in meiner Karriere. Die ganze Familie saß da, ich habe 30 Tickets besorgt, und dann erfahre ich am Spieltag, dass ich in meinem Freiburger Wohnzimmer nicht von Anfang an spielen darf. Das sind Momente, die wehtun. Und natürlich ist man dann nicht stolz drauf und gibt dem Coach die Hand."
… die italienische Nationalmannschaft
"Vielleicht fühlt es sich für uns nochmal anders an, weil wir so weit weg waren. Wir saßen hier in Pforzheim, haben die Spiele angeguckt, hatten das Trikot an, wurden 2006 Weltmeister, alle Spieler, die man da gesehen hat, hat man gefeiert wie der allergrößte Fan. Und plötzlich ist man ein Teil davon. Das Trikot (der Squadra Azzurra, Anm.) , das in meinem Flur hängt, zeigt mir jeden Tag, wie stolz ich darauf sein darf."
… Chiellini und Bonucci
"Sie haben eine Aura, die nicht jeder Spieler hat. Sie geben dir Sicherheit, das gewisse Etwas, das Gefühl, dass du dich wohlfühlen und befreit sein kannst und dich nicht verstellen musst, sondern der Mensch sein kannst, der du bist. Sie schaffen es, das der ganzen Mannschaft tagtäglich mitzugeben. Deswegen sind sie unglaublich wichtig, selbst wenn sie nicht viel spielen. Ich bin unfassbar dankbar, dass ich die Zeit mit solchen Legenden miterleben durfte."